Der Arbeitsmarkt dreht sich
Die wirtschaftliche Leistung Deutschlands lässt zu wünschen übrig und auch viel Verbesserung ist nicht in Sicht. Und es kommt wohl noch dicker – der Arbeitsmarkt, das starke Rückgrat der deutschen Wirtschaft, steht immer mehr unter Druck. Ein Blick unter die Oberfläche der Beschäftigungsentwicklung der letzten Jahre zeigt recht deutlich, dass der Wind sich dreht.
Die deutsche Wirtschaft im Jahr 2024
Mit dem Jahr 2024 ist, zum ersten Mal seit den frühen 2000er-Jahren, das zweite Rezessionsjahr in Folge zu Ende gegangen. Den ersten Schnellschätzungen zufolge ist die Wirtschaft im Vergleich zum Vorjahr um 0,2 Prozent geschrumpft, nach einem Rückgang um 0,3 Prozent im Jahr 2023. Die Gründe für die schlechte wirtschaftliche Performance sind vielfältig. Von einer überraschend langanhaltenden Schwäche in der Industrie, über eine verhaltene Kauflaune, die selbst das stärkste Lohnwachstum seit rund einer Dekade nicht wiederbeleben konnte, bis hin zu strukturellen Schwächen und Veränderungen, wie der Weiterentwicklung Chinas vom dankbaren Abnehmer zum ernstzunehmenden Konkurrenten.
Mit Blick auf das vor uns liegende neue Jahr sind die wirtschaftlichen Aussichten nicht besser. In der Industrie zeichnet sich noch keinerlei zyklische Verbesserung ab – die Auftragsbücher sind nach wie vor leer und so viele Unternehmen wie seit der Finanzkrise nicht mehr berichten von hohen Lagerbeständen. Und nun zu der Frage, weshalb das starke Lohnwachstum bisher nicht zu einem deutlichen Anstieg des Konsums geführt hat. Nun, zum einen liegen die Realeinkommen trotz starkem Lohnwachstum noch immer unterhalb des Niveaus von 2020. Zum anderen ist die Sorge vor einem Anstieg der Arbeitslosigkeit groß.
Kein Wunder, denn die Berichte über Unternehmensinsolvenzen, Stellenabbau oder Restrukturierungen haben sich zuletzt förmlich überschlagen. Dementsprechend landeten die zusätzlichen Einkünfte vermehrt auf den Sparkonten. Daten der EZB zufolge lag der Anteil der Ersparnisse am verfügbaren Einkommen deutscher Haushalte im dritten Quartal 2024 bei 20 Prozent. Damit liegt die Sparquote zwar unterhalb des im Jahr 2021 erreichten Höchstwertes von 24 Prozent, im langfristigen Durchschnitt lag sie mit 17 Prozent allerdings deutlich niedriger.
Unter der Arbeitsmarkt-Fassade zeigen sich erste Risse
Während der sich drehende Arbeitsmarkt ein zentrales Thema für 2025 sein wird, bietet der Blick unter die Oberfläche der Beschäftigungsentwicklung der vergangenen Jahre bereits jetzt einen weiteren Erklärungsansatz dafür, warum der private Konsum bisher noch nicht richtig an Fahrt aufgenommen hat. Und warum die wirtschaftliche Aktivität insgesamt, insbesondere in bestimmten Bereichen, nach wie vor schwunglos verläuft.
So lässt sich das Beschäftigungswachstum seit dem vierten Quartal 2019 beispielsweise fast vollständig durch einen starken Anstieg der Teilzeitbeschäftigung erklären. Ende September 2024 gab es mehr als 10 Prozent mehr Teilzeitbeschäftigte als noch Ende 2019. Im Grundstücks- und Wohnungswesen, im öffentlichen Sektor und in der Erbringung von wirtschaftlichen Dienstleistungen stieg die Teilzeitquote in diesem Zeitraum besonders deutlich an. Die Zunahme der Teilzeitbeschäftigung reichte in vielen Bereichen, so auch in der Industrie, im Handel oder bei den wirtschaftlichen Dienstleistungen aber nicht aus, um den starken Rückgang der Vollzeitkräfte auszugleichen. Vor allem in der Privatwirtschaft nicht.
Echtes Beschäftigungswachstum gab es in den vergangenen rund vier Jahren tatsächlich nur im öffentlichen Sektor. Im Vergleich zum „Vorkrisenquartal“, dem vierten Quartal 2019, war die Beschäftigung im öffentlichen Sektor zum Ende des dritten Quartals 2024 um rund 7,5 Prozent gewachsen. In der Privatwirtschaft ließ sich, nach einer ersten Erholung nach der Pandemie, vielmehr eine Stagnation beobachten und am Ende des dritten Quartals 2023 lag die Beschäftigung um 0,4 Prozent niedriger als noch im vierten Quartal 2019. In der Industrie (inkl. Bausektor) haben die vergangenen Jahre nicht nur wachstumstechnisch, sondern auch am Arbeitsmarkt die deutlichsten Spuren hinterlassen. Auch fast fünf Jahre nach Ausbruch der Pandemie hat sich das Beschäftigungsniveau noch lange nicht wieder erholt und lag zum Ende des dritten Quartals dieses Jahres um 2 Prozent unterhalb des Vorpandemieniveaus.
Beschäftigungsveränderung pro Wirtschaftsbereich
3. Quartal 2024 vs. 4. Quartal 2019 in %
Im Dienstleistungssektor ist die Beschäftigung seit dem vierten Quartal 2019 um 0,4 Prozent angestiegen – insbesondere getrieben durch deutliche Zuwächse im Bereich Information & Kommunikation sowie im Grundstücks- und Wohnungswesen. In allen anderen Bereichen stagnierte oder schrumpfte die Anzahl der Beschäftigten.
Der deutsche Arbeitsmarkt hält die einigermaßen starke Fassade aktuell also basierend auf dem starken Anstieg der Teilzeitbeschäftigung im öffentlichen Bereich aufrecht. Dass die in diesem Bereich geschaffene Beschäftigung für wenig Konjunkturschwung sorgt, lässt sich aber nicht maskieren.
Arbeitsmarkt wird wohl auch 2025 kein Wachstumstreiber sein
Mit entromantisiertem Blick auf das vor uns liegende Jahr 2025 ist nicht damit zu rechnen, dass die Arbeitsmarktaktivität in der Industrie oder dem Dienstleistungssektor an Fahrt aufnehmen wird – ganz im Gegenteil. Den jüngsten Umfrageergebnissen der Europäischen Kommission zufolge erwarten die Mehrheit der Industrie- und Dienstleistungsunternehmen einen Beschäftigungsrückgang im jeweiligen Bereich.
Die Industrie ist dabei insgesamt deutlich negativer als der Dienstleistungsbereich. Besonders ausgeprägt sind diese Erwartungen in der Industrie im Bereich der Herstellung von Leder und verwandten Produkten, in der Textilherstellung, oder der Herstellung von Kraftfahrzeugen. Im Dienstleistungsbereich blicken unter anderem Post- und Kurierdienste, Werbungs- und Marktforschungs-Unternehmen sowie Unternehmen in kreativen, künstlerischen und unterhaltenden Bereichen pessimistisch auf die Zukunft der Beschäftigung.
Der Arbeitsmarkt als starkes Rückgrat der deutschen Wirtschaft? Diese Fassade wird für den Moment nicht mehr aufrechterhalten werden können. Es darf nicht vergessen werden, dass der Arbeitsmarkt ein nachlaufender Indikator ist. Hält man sich nun zwei aufeinanderfolgende Rezessionsjahre, aufwärts trendende Insolvenzstatistiken und umfängliche Restrukturierungspläne vor Augen, fällt es schwer, den Arbeitsmarkt in eine andere Richtung als „abwärts“ laufen zu sehen. Wenn auch von stabilen Niveaus aus kommend und aufgrund des demographischen Wandels und Fachkräftemangels nur langsam, aber stetig.