Kollege Roboter – die Lösung gegen den Fachkräftemangel in Unternehmen?

Wirtschaft 5 min Lesedauer 17.08.2023
Ein Roboter pflückt Tomaten in einem Gewächshaus

Mit der Wiedereröffnung der Wirtschaft nach der Covid-Pandemie ist ein strukturelles Problem mit Schwung zurückgekehrt: der Fachkräftemangel. In den kommenden Jahren dürfte der sich aufgrund des demografischen Wandels noch verstärken, weshalb es sich nun ganz besonders lohnt, nach neuen Mitarbeitenden Ausschau zu halten. Unser Rat: Nicht nur von den Ausbildungsbetrieben oder Universitäten kann passender Nachwuchs kommen, sondern bestimmte Unternehmen werden in Zukunft auch am Produktionsband und in den Software-Schmieden fündig werden.

Die Lage am Arbeitsmarkt wird immer angespannter. Die Erwerbstätigenquote erreichte im Jahr 2022 mit knapp 77 Prozent ein Allzeithoch. Die Arbeitslosenquote befand sich im Juli trotz eines leichten Anstiegs auf 5,6 Prozent nach wie vor auf niedrigem Niveau. Das mittlerweile größte Problem für viele Unternehmen ist der Fachkräftemangel. Zuletzt gab mehr als ein Drittel aller Industrieunternehmen an, dass ein Mangel an Fachkräften die Aktivität limitiere.

Am stärksten lastete der Fachkräftemangel auf Unternehmen in der Herstellung von Leder und Lederprodukten sowie im Druck und der Vervielfältigung von Datenträgern. Im Dienstleistungsbereich waren es mehr als 40 Prozent aller Unternehmen, die angaben, dass ein Mangel an Arbeitskräften das Geschäft beeinflusse, wobei rechtliche und buchhalterische Aktivitäten sowie der Landtransport besonders unter dem Fachkräftemangel litten.

Viel Automatisierungspotenzial im Dienstleistungssektor

Da aufgrund des demografischen Wandels nicht ausreichend Fachkräfte nachkommen werden, um diese Lücke zu füllen, müssen Unternehmen in Zukunft kreativ werden – und vor allem am Zahn der Zeit bleiben. Findige Unternehmerinnen und Unternehmer sollten in Zukunft nicht nur schauen, wer die Berufsschule oder die Uni absolviert, sondern auch, wer oder was vom Produktionsband steigt. Da insbesondere der Dienstleistungssektor nach wie vor von einem deutlichen Mangel an Fachkräften berichtet, wäre es doch zu schön, wenn die Positionen, die der Mensch nicht besetzen möchte, von Kollege Roboter oder künstlicher Intelligenz übernommen werden könnten. Und tatsächlich könnten insgesamt mehr als 65 Prozent aller Dienstleistungs- und Verkaufsberufe automatisiert werden, wie die Ergebnisse unserer jüngsten Studie zur Automatisierung am Arbeitsmarkt „Die Roboter kommen (um zu helfen)“ zeigen.

Insbesondere in der Gastronomie oder im Einzelhandel könnte Kollege Roboter einspringen, um Bestellungen aufzunehmen oder zu kassieren. Im Bereich der Dienstleistungs- und Verkaufsberufe weisen Berufe in der Gastronomie eine durchschnittliche Automatisierungswahrscheinlichkeit von 89 Prozent auf. Im Bereich Verkauf liegt die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit bei 76 Prozent.

Ein Diagramm, das ein steigendes Verhältnis offener Stellen gegenüber als arbeitslos gemeldeten Personen anzeigt
Verhältnis von offenen Stellen zur Anzahl als arbeitslos gemeldeter Personen

Zwar hat sich die Situation am deutschen Arbeitsmarkt im Laufe der letzten 12 Monate etwas entspannt, doch im Juli dieses Jahres kamen auf eine als arbeitslos gemeldete Person nach wie vor 0,29 offene Stellen – der historische Höhepunkt wurde im Mai 2022 mit 0,39 offenen Stellen pro arbeitslose Person erreicht. Die Arbeitsmarktsituation in den Nachbarländern zeigt ein ähnliches Bild. „Entspannung“ ist also etwas ganz anderes als „Erleichterung“, und der Blick in die Zukunft verspricht keine signifikante Besserung. Denn in den kommenden 12 Jahren werden deutschen Unternehmen mit dem Ausscheiden der Babyboomer vom Arbeitsmarkt insgesamt mehr als 10 Millionen Angestellte verloren gehen.

Die Nachfrage nach Robotern steigt

Doch nicht nur Gastronomie und Einzelhandel können in Zukunft von der Automatisierung profitieren. Auch im Bereich Verkehr und Logistik, in dem sich der aktuell bereits starke Fachkräftemangel in den kommenden Jahren noch deutlich verschärfen wird, können mechanische Helfer und intelligente Programme Entlastung bringen. 38 Prozent aller Beschäftigten in diesem Bereich werden im Laufe der nächsten Jahre aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden. Die Automatisierung könnte das jedoch auffangen und mehr als jeden zweiten Beschäftigten in Verkehr- und Logistikberufen ersetzen.

Dass Serviceroboter so langsam ihren Weg in die Unternehmen finden, zeigen auch die Zahlen des Weltroboterverbands IFR. Im Jahr 2021 wurden weltweit 121.000 Serviceroboter verkauft – im Vergleich zum Vorjahr stieg der Absatz somit um 37 Prozent. Noch verbreiteter ist der Einsatz allerdings in der Industrie. Im Jahr 2021 waren allein in Deutschland rund 246.000 Industrieroboter im Einsatz. Laut IFR ist die Automobilindustrie der größte Abnehmer der metallenen Arbeitskräfte, gefolgt von der metallverarbeitenden Industrie und die chemische und kunststoffverarbeitende Industrie.

Besonders großen Nutzen dürften sie allerdings in der Lebensmittelherstellung und -verarbeitung stiften. Mit einer durchschnittlichen Automatisierungswahrscheinlichkeit von 70 Prozent ist das Potenzial, von der voranschreitenden Automatisierung am Arbeitsmarkt zu profitieren, für diese Unternehmen groß. Mehr als jeder zweite Arbeitsplatz könnte auch in Unternehmen, die in der Rohstoffgewinnung, Glas- und Keramikverarbeitung oder in der Metallerzeugung und -bearbeitung bzw. im Metallbau tätig sind, durch Robotisierung und Automatisierung ersetzt werden. Die durchschnittliche Automatisierungswahrscheinlichkeit für Berufe in diesen Bereichen liegt bei 56 bzw. 64 Prozent.

Ganz ohne menschliche Kolleginnen und Kollegen geht es nicht

Ob Dienstleister oder Industrieunterunternehmen – einen Headhunter auf die neumodischen Kollegen anzusetzen kann also in fast jedem Bereich Entlastung und Nutzen stiften. Allerdings gibt es durchaus Unternehmen, die auch in Zukunft vor allem auf menschliche Fachkräfte angewiesen sein werden. So zum Beispiel weisen medizinische Berufe eine sehr geringe durchschnittliche Automatisierungswahrscheinlichkeit von nur 18 Prozent auf, und auch im Bereich Informatik und Informations- und Kommunikationstechnik kann nur etwas mehr als jeder fünfte Angestellte durch Automatisierung ersetzt werden.

Bei all den Möglichkeiten, die das Einstellen eines mechanischen Mitarbeiters mit sich bringt, sollte allerdings nicht vergessen werden, dass Neuzugang Roboter schlecht ohne menschliche Kolleginnen und Kollegen arbeiten kann, die ihn bedienen oder mit Informationen füttern. Unternehmen, die in der Arbeitsplatzautomatisierung Vorteile erkennen und diese nutzen möchten, sollten also nicht außer Acht lassen, ihre nicht-mechanischen Mitarbeitenden entsprechend zu schulen und weiterzubilden. Gelingt es, diese Symbiose aus Mensch und Maschine in die Unternehmenskultur einzugliedern, können die Roboter für fast alle Unternehmerinnen und Unternehmer zum Freund und Helfer werden.

Autor: Franziska Biehl, Economic Research Team der ING

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