Das neue Einheitspatent: Was sich für kleine und mittlere Unternehmen ändert
Deutschland ist EU-weit Erfinderland Nummer 1: 2022 wurden aus der Bundesrepublik 24.684 Patente beim Europäischen Patentamt (EPA) eingereicht. Das sind fast 14.000 mehr als aus dem zweitplatzierten Frankreich.
Insgesamt wurden laut EPA-Statistik 2022 rund 193.460 Erfindungen aus aller Welt zum Patent angemeldet:
- weit mehr als die Hälfte der Anmeldungen (104.800) kam dabei aus nicht EU-Staaten,
- rund 21 Prozent der von europäischen Anmeldern beim EPA eingereichten Patentanmeldungen stammen von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sowie von Einzelerfinder/-innen.
Für alle, die ihre Erfindungen in mehreren EU-Ländern gleichzeitig schützen wollen, gibt es seit dem 1. Juni 2023 eine wesentliche Erleichterung: An diesem Tag ist das sogenannte Einheitspatent in Kraft getreten. Dieses ermöglicht es, mit einem einzigen Antrag beim EPA in bis zu 25 EU-Mitgliedstaaten einen Patentschutz zu erhalten. „Wichtig ist aber, dass bislang nicht alle Staaten der EU das Übereinkommen zum Einheitspatent ratifiziert haben, so dass das neue Einheitspatent ab dem 1. Juni 2023 auch nur in einem Teil der EU gültig sein wird“, sagt Sebastian Geiger, Patentanwalt und Geschäftsführer der Kanzlei Patentship. „Grundsätzlich bewirkt ein erteiltes Einheitspatent einen unmittelbaren Patentschutz für alle entsprechenden EU-Staaten.“ Derzeit sind das:
- Belgien,
- Bulgarien,
- Dänemark,
- Deutschland,
- Estland,
- Finnland,
- Frankreich,
- Italien,
- Lettland,
- Litauen,
- Luxemburg,
- Malta,
- Niederlande,
- Österreich,
- Portugal,
- Slowenien und
- Schweden.
Nicht dabei sind: Griechenland, Großbritannien, Irland, Kroatien, Polen, Rumänien, Slowakei, Spanien, Tschechien, Ungarn und Zypern.
So lief das Verfahren vor dem Einheitspatent ab
„Im Gegensatz zu der weit verbreiteten Annahme gewährleistet das bisherige europäische Patent keinen unmittelbaren Patentschutz in allen Ländern des Europäischen Patentübereinkommens – in dem übrigens auch Nicht-EU-Länder vertreten sind, darunter etwa die Türkei“, erklärt Geiger. „Das europäische Patent muss also nach der Erteilung durch das EPA für jedes einzelne Land, in dem Patentschutz gewünscht ist, nochmals einzeln validiert werden. Man spricht deshalb auch von Bündelpatenten.“
Das bisherige Verfahren war daher nicht selten komplex und kostspielig. Denn die Validierungsprozesse der einzelnen Länder unterscheiden sich, dazu kommen Ausgaben wie Übersetzungskosten, Validierungsgebühren sowie Vertretungs- und Anwaltshonorare. Wie Geiger betont, wird dieses Vorgehen parallel zum Einheitspatent jedoch weiter möglich sein.
Das ändert sich mit dem Einheitspatent
„Der wichtigste Vorteil liegt darin, dass die entsprechende Validierung in den einzelnen Nationalstaaten nicht mehr notwendig ist und daher der Aufwand reduziert und Kosten gespart werden können“, sagt Geiger. „Das neue Einheitspatent wirkt unmittelbar in allen EU-Staaten, welche das Übereinkommen zum Einheitspatent ratifiziert haben.“
Eine weitere Neuerung ist, dass zum Stichtag 1. Juni 2023 auch das neue einheitliche Patentgericht, Unified Patent Court (UPC), seine Arbeit aufgenommen hat. „Es wird somit möglich sein, einen potenziellen Verletzungsfall eines Einheitspatents vor dem UPC für alle ratifizierten Staaten durchzuführen, und man muss nicht wie bisher beim Europäischen Patent jeden Verletzungsfall einzeln bei einem nationalen Verletzungsgericht durchsetzen“, sagt Geiger, spricht aber hinsichtlich des Verfahrens vor dem UPC von einem „zweischneidigen Schwert“. Denn andererseits könne das UPC im Rahmen eines einzigen Rechtsbeständigkeitsverfahrens das Einheitspatent für alle ratifizierten Staaten für nichtig erklären, was beim bisherigen Europäischen Patent nach der Validierung in den Nationalstaaten nicht möglich ist, da dann das jeweilige nationale Gericht der Validierungsstaaten über die Rechtsbeständigkeit entscheiden muss.
So ist die neue Vorgehensweise mit dem Einheitspatent
Wer ein Einheitspatent erhalten möchte, für den ändert sich hinsichtlich der Vorgehensweise zunächst nicht viel:
- Für das neue Einheitspatent muss zunächst wie bisher ein europäisches Patent beim EPA erlangt werden. „Somit können die Anmelder auf die bisher vertrauten Prozesse Bezug nehmen“, sagt Geiger.
- Ist das europäische Patent erteilt, muss der/die Patentinhaber/-in beim EPA einen „Antrag auf einheitliche Wirkung“ stellen, um das Einheitspatent zu erhalten.
- Dieser Antrag muss spätestens einen Monat nach Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung des europäischen Patents im Europäischen Patentblatt schriftlich in der Verfahrenssprache gestellt werden und kann auch online eingereicht werden.
- Hat der/die Patentinhaber/-in einen Sitz oder Wohnsitz in einem Vertragsstaat des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ), kann er/sie die Einreichung selbst vornehmen. Ansonsten muss hierfür ein beim EPA zugelassener Vertreter bestellt werden.
- Das EPA wird neben der EPÜ-Patentschrift keine gesonderte Patentschrift für Einheitspatente veröffentlichen. Dem Inhaber oder der Inhaberin wird aber eine Urkunde zugeschickt, sobald die einheitliche Wirkung eingetragen ist.
- Für die kommenden sechs Jahre wird noch eine Übergangsfrist für Übersetzungen gelten. So lange müssen Patentinhaber/-innen eine vollständige Übersetzung einreichen: Wenn die Verfahrenssprache vor dem EPA Deutsch oder Französisch war, muss eine Übersetzung der Patentschrift ins Englische eingereicht werden. Wenn die Verfahrenssprache Englisch war, muss die Patentschrift in eine andere Amtssprache der EU übersetzt werden. Nach Ablauf der Übergangsfrist werden keine Übersetzungen mehr erforderlich sein.
Für welche Unternehmen lohnt sich das Einheitspatent?
Laut EPA sind die Jahresgebühren für die Aufrechterhaltung eines Einheitspatents „sehr attraktiv und unternehmensfreundlich“: Die Gesamtgebühren für die ersten zehn Jahre – die durchschnittliche Lebensdauer eines europäischen Patents – belaufen sich demnach auf weniger als 5.000 Euro.
Beim Vergleich mit den bisherigen Kosten sind allerdings nicht nur die Gebühren zu berücksichtigen, sondern auch die Kosten im Zusammenhang mit der Validierung und Aufrechterhaltung des klassischen europäischen Patents. „Als groben Anhaltspunkt würde man hier davon ausgehen, dass, wenn ein Patentschutz in mehr als drei beziehungsweise vier Ländern durch den Anmelder gewünscht ist, es kostengünstiger ist, ein Einheitspatent anzumelden, als den Weg über das bisherige europäische Patent zu gehen“, schätzt Geiger. Oder andersherum: „Wenn durch den Anmelder ein Patentschutz in nur einem oder zwei Ländern gewünscht ist, ist der Weg über das bisherige europäische Patent wahrscheinlich kostengünstiger“.