Koalitionsvertrag: Wirtschaftliche Erholung ja, nachhaltiges Wachstum vielleicht
45 Tage nach der deutschen Bundestagswahl haben CDU/CSU und SPD den gemeinsam erarbeiteten Koalitionsvertrag vorstellt. Auf 144 Seiten finden sich Maßnahmen und Vorhaben, um „Verantwortung für Deutschland“ zu übernehmen. Von der wirtschaftlichen Warte aus betrachtet enthält der Vertragsentwurf durchaus gute Elemente – doch die Wunschliste ist lang. Und teuer. Eine Kombination, die leicht dazu führen kann, dass einige Vorhaben niemals das Tageslicht erblicken werden.
Schnelle Einigung in turbulenten wirtschaftlichen Zeiten
Die wirtschaftspolitische Unsicherheit in Deutschland steht aktuell auf einem Rekordhoch. Bereits vor Trumps Zollchaos hatte Deutschland ein Wachstumsproblem, mit den zunächst verhängten „reziproken“ Zöllen auf aus der EU in die USA exportierte Güter hatten sich die kurzfristigen wirtschaftlichen Aussichten zusätzlich deutlich abgeschwächt.
Dass nun eine 90-Tätige Aussetzung dieser Zölle angekündigt wurde, während der allerdings dennoch ein Basiszoll in Höhe von 10 Prozent auf alle Güter sowie die Zölle auf Autos in Höhe von 25 Prozent bestehen bleiben, haben die direkten Auswirkungen etwas abgeschwächt – die indirekten Effekte in Form von hoher Unsicherheit und Belastung der wirtschaftlichen Stimmung bleiben aber bestehen. Außerdem wäre ein Aufschub um 90 Tage, wenn in dieser Zeit keine Einigung zwischen der EU und den USA erzielt würde, nichts weiter als das: ein Aufschub der direkten negativen wirtschaftlichen Auswirkungen.
Dass CDU/CSU und SPD sich innerhalb von 45 Tagen auf einen Koalitionsvertrag einigen konnten, und Deutschland rund zwei Monate nach der Wahl eine neue Bundesregierung haben wird, schafft immerhin auf nationaler Ebene ein wenig Sicherheit in diesen global überaus turbulenten Zeiten.
Nicht zu vergessen, dass das Kernstück des Koalitionsvertrags, das Sondervermögen für Infrastrukturinvestitionen in Höhe von 500 Mrd. Euro sowie die Reform der Schuldenbremse, bereits vor Abschluss der offiziellen Koalitionsverhandlungen beschlossen wurde. Die Aussicht darauf, dass 150 Mrd. Euro aus dem Sondervermögen im Laufe der Legislaturperiode, also bis 2029, ausgegeben werden sollen, verspricht zumindest mittelfristig bessere Wachstumsaussichten.
Weitere wirtschaftliche Highlights aus der langen Wunschliste sind:
- Steuersenkungen für Haushalte mit mittleren und niedrigen Einkommen sowie für Unternehmen. Die Unternehmenssteuer soll in fünf Schritten um insgesamt fünf Prozentpunkte abgesenkt werden – begonnen werden soll damit im Jahr 2028.
- Außerdem sollen Überstundenzuschläge steuerfrei sein, und wer trotz fortgeschrittenen Alters freiwillig weiterarbeitet, soll davon ebenfalls steuerlich profitieren.
- Um Innovationen zu fördern, soll ein Deutschlandfonds eingerichtet werden, der insbesondere kleine- und mittelständische Unternehmen sowie Start-Ups zugutekommen soll. Der Bund plant, 10 Mrd. Euro in Form von Garantien oder finanziellen Transaktionen für diesen Fonds bereit zu stellen, weitere 90 Mrd. Euro sollen durch privates Kapital oder Garantien einfließen.
- Zudem sollen Genehmigungsverfahren vereinfacht werden und Bürokratiehürden abgebaut.
- Einen „Investitionsbooster“ soll es außerdem durch beschleunigte Abschreibungen von 30 Prozent in den Jahren 2025, 2026 und 2027 geben.
- Anreize und Erleichterungen im Bereich der Transformation der Wirtschaft bzw. im Energiebereich sollen verschiedene Subventionen und Steuererleichterungen im Bereich der E-Mobilität, sowie die Senkung der Stromsteuer bzw. die Reduzierung von Netzentgelten und Umlagen bringen.
Viel (priorisieren) hilft viel
Tatsächlich könnten wir die Liste noch fortführen – denn der 144-Seiten lange Vertrag beinhaltet einen bunten Blumenstrauß aus verschiedenen strukturellen Reformen, Subventionen und Investitionsanreizen. Per se keine schlechte Mischung. Viele der Maßnahmen bergen definitiv das Potenzial, immerhin eine zyklische Erholung der deutschen Wirtschaft zu begünstigen. Um langfristig zurück zu mehr Wachstumspotenzial und -stärke zurückzufinden, braucht es aber eben mehr als nur Investitionen in Infrastruktur oder Subventionen. Tatsächlich braucht es mutige strukturelle Reformen und der Koalitionsvertrag legt nahe, dass das auch erkannt worden ist.
Problematisch ist allerdings, was im Vertrag nicht zu finden ist. Und das sind Möglichkeiten und Pläne, um all diese Vorhaben zu finanzieren. Weil das Ringen um den Staatshaushalt in den vergangenen Jahren bereits häufiger zum Aufschub oder zur Aufhebung von Maßnahmen geführt hat, sind das keine guten Voraussetzungen, um eine quasi Endlos-Wunschliste aus lauter „Boostern“ und „Turbos“ zu erfüllen. Dementsprechend ist es gut möglich, dass einige Punkte von der Wunschliste niemals das Tageslicht erblicken werden.
Prioritäten werden daher gesetzt werden müssen. Ohne diese führt nämlich die beste und längste wirtschaftspolitische Wunschliste der Welt nicht zu nachhaltig mehr Wachstumspotenzial.