Das Lieferkettengesetz: Bürokratiemonster, aber auch Chance für kleine und mittlere Unternehmen

Wirtschaft 4 min Lesedauer 20.08.2024
Ein Mensch auf einem Gabelstapler entlädt Container

Seit Beginn dieses Jahres gilt das Lieferkettengesetz für Unternehmen in Deutschland mit mindestens 1.000 Beschäftigten, für Unternehmen mit 3.000 Beschäftigten trat es bereits 2023 in Kraft. Das heißt, dass Kleine und Mittlere Unternehmen (KMU) nicht direkt betroffen sind, aber durchaus indirekt. Denn die gesamte Lieferkette muss seit 2023/2024 dokumentiert werden, und somit sind die Geschäftsbeziehungen sowohl direkter Vertragspartner als auch indirekter Zulieferer betroffen.

Worum geht’s genau?

Mit Inkrafttreten des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, kurz Lieferkettengesetz, müssen Unternehmen entlang ihrer gesamtem Lieferkette analysieren und dokumentieren, ob ihre Zulieferer Sorgfaltsstandards in folgenden Bereichen einhalten:

  • Keine Kinderarbeit, Zwangsarbeit
  • Keine Diskriminierung
  • Kein Landraub
  • Einhaltung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes
  • Recht auf faire Löhne und Recht zur Bildung von Gewerkschaften
  • Keine umweltrechtlichen Verstöße
Foto von Inga Fechner
ING-Ökonomin Inga Fechner hat alle wichtigen Informationen zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz kompakt zusammengefasst.

Um dies zu überprüfen, müssen die betroffenen Unternehmen ein Risikomanagement einrichten, das ermittelt und priorisiert, sodass das Unternehmen ggf. Maßnahmen ergreifen kann. Eine Grundsatzerklärung muss veröffentlicht werden, Schritte müssen dokumentiert und ein Beschwerdemanagement eingerichtet werden. Nach Abschluss eines jeden Geschäftsjahres muss dann ein Bericht über die Erfüllung der Sorgfaltspflichten im vergangenen Geschäftsjahr erstellt, bei der zuständigen Kontrollstelle eingereicht und auf die Firmenwebsite gestellt werden. Erst mal also ein ordentlicher Verwaltungsaufwand. Die Umsetzung wird dabei vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) überwacht, bei Verstößen gegen das Gesetz können Bußgelder verhängt und Unternehmen von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden. Bußgelder können bis zu 8 Millionen Euro oder bis zu zwei Prozent des weltweiten Jahresumsatzes betragen, wobei letzteres nur für Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 400 Millionen Euro gilt.   

Auch auf EU-Ebene gilt ab 2027 ein Lieferkettengesetz

Auch auf EU-Ebene wurde im April dieses Jahres vom Rat der Europäischen Union eine „Richtlinie über die unternehmerische Sorgfaltspflicht im Bereich der Nachhaltigkeit“ (Corporate Sustainability Due Diligence Directive) verabschiedet, das für Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und einem weltweiten Umsatz von mehr als 450 Millionen Euro gelten wird. Die Mitgliedsstaaten haben nun zwei Jahre Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen, ein Jahr später treten die Vorschriften dann schrittweise, gestaffelt nach Unternehmensgröße, in Kraft:

  • 2027 für Unternehmen mit mehr als 5.000 Mitarbeitern und mehr als 1,5 Milliarden Euro Umsatz
  • 2028 für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern und mehr als 900 Millionen Euro Umsatz
  • 2029 für Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern und mehr als 450 Millionen Euro Umsatz

Warum ist die Lieferkettensorgfaltsplicht auch für KMU wichtig?

Das EU-Gesetz betrifft gerade einmal um die 6.000 EU-Unternehmen und um die 900 Nicht-EU-Unternehmen. In Deutschland sind laut Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) insgesamt 5.700 Unternehmen – seit dem Jahr 2023 900 und seit dem Jahr 2024 zusätzliche 4.800 Unternehmen – vom deutschen Gesetz betroffen. Gemessen an der Gesamtzahl der Unternehmen betrifft es damit also gerade einmal direkt 0,2% der Unternehmen in Deutschland.

Tortendiagramm, das die Verteilung der Unternehmensgröße deutscher Unternehmen zeigt

Aber ebenso wie beim deutschen Gesetz können KMU als Geschäftspartner in Wertschöpfungsketten indirekt betroffen sein. Heißt erst einmal: Ein immenser zusätzlicher Bürokratieaufwand. Nun sind die Gesetze bereits beschlossen, bzw. schon in Kraft. Und einem Gesetz kann man sich schwerlich entziehen. Daher kann man das Gesetz und die damit verbundene Offenlegungspflicht auch als Chance verstehen: Ein Unternehmen kann zeigen, wie sorgfältig und nachhaltig es operiert. Das bietet Chancen für KMU, sich als verlässlicher Partner, der die Anforderungen des Lieferkettengesetzes erfüllt, zu präsentieren und langfristige Geschäftsbeziehungen zu sichern. 

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