So finden Unternehmen ihre Finanzierungsstrategie

Finanzen 6 min Lesedauer 05.01.2022
Eine junge Frau sitzt vor einem Schachbrett und macht einen Zug

Seit 20 Jahren berät Carl-Dietrich Sander kleine und mittlere Unternehmen bei der Kreditaufnahme. Im Interview teilt er seine Erfahrungen: Was hat sich heute alles verändert? Und wie finanzieren Firmen 2022 am besten?

Herr Sander, Sie beraten kleine und mittlere Unternehmen in kaufmännischer Unternehmensführung. Gibt es da viel Beratungsbedarf? 

Carl-Dietrich Sander: Die meisten Unternehmerinnen und Unternehmer im KMU-Bereich kommen nicht von der kaufmännischen Seite, sondern von der Fachseite. Seien es Handwerker/-innen, Händler/-innen oder Dienstleister/-innen – sie kommen über die Branchenexpertise und machen sich selbstständig oder übernehmen Familienunternehmen. Oft haben sie keine ausgeprägte kaufmännische Expertise. Vom richtigen Nutzen der betriebswirtschaftlichen Auswertung bis zum Thema Finanzierung – es gibt viel Unterstützungsbedarf. Vielen fehlt es außerdem an Austausch. 

Was meinen Sie mit Austausch? 

Unternehmerinnen und Unternehmer sind, was das Unternehmersein angeht, oft relativ einsam. Nicht als Mensch, aber mit der Aufgabe. Sich Austauschmöglichkeiten zu schaffen, halte ich für eminent wichtig. 

Warum? 

Um über den Tellerrand zu schauen. Wie machen es andere, was kann ich von anderen lernen? Ich moderiere seit zehn Jahren eine branchenübergreifende Austauschrunde. Sechs verschiedene Branchen, Firmengrößen von einem bis 80 Mitarbeitenden. Da ist so eine Vertrauensbasis entstanden, die diskutieren alles. Da wird viel Druck herausgenommen. Der Erfahrungsaustausch mit anderen, die Praxisbeispiele, das kann man sich nicht anlesen. 

Porträtbild von Carl-Dietrich Sander

Ihr Beratungsschwerpunkt ist das Thema Finanzierung. Was sind denn die Situationen, in denen das Thema bei Unternehmen relevant wird?

Es gibt zwei klassische Anlässe. Das eine ist die anstehende Investition, die nicht allein aus eigenen Mitteln dargestellt werden kann. Der andere ist die Wachstumsfinanzierung. Dazu können Investitionen gehören, aber auch Großaufträge, bei denen ich in Vorleistung gehen muss. Und damit sind wir im Bereich Betriebsmittelfinanzierung. Das wird oft vernachlässigt, gerade in Wachstumssituationen: Viele Unternehmen sind nicht in der Lage, bei allen Lieferanten Skonto zu ziehen, weil einfach die liquiden Mittel fehlen. Der dritte Anlass ist der sich anbahnende Liquiditätsengpass. Mit der spannenden Frage, wie erkenne ich rechtzeitig, dass sich in der Liquidität etwas zusammenbraut: Zum Beispiel wird die Kreditlinie des Kontokorrentkredits immer höher und womöglich lange voll ausgenutzt oder es droht gar eine Überziehung. All das sind sogenannte Warnsignale in den Ratingsystemen der Kreditgeber und führen zu einer Herabstufung der Bonität.

Wie erkennen Unternehmen das rechtzeitig? 

Wenn sich Wachstum als kontinuierlicher Prozess darstellt, merke ich: Meine Forderungsbestände steigen, vielleicht auch mein Warenlager oder meine Halbfertigen und Fertigen Arbeiten. Und meine Kreditlinie reicht nicht mehr aus, weil ich mit der Kreditinanspruchnahme immer näher an die vereinbarte Kreditlinie heranrücke. Damit ist klar, dass die Liquiditätssteuerung eine der Chefaufgaben ist. Ich empfehle immer: Leg eine Warnlinie fest. Du hast zum Beispiel eine Kreditlinie bis 100.000 Euro. Dann sage ich, wenn du 60.000 oder 70.000 Euro überschreitest, ist das deine Warnlinie, und du schaust genauer hin, was passiert ist und was du tun musst, um nicht gegen die 100.000 Euro zu laufen. Was außerdem oft vergessen wird: wenn man eine kapazitätserweiternde Investition tätigt, wenn man Wachstum plant – gleichzeitig zu überlegen, welchen zusätzlichen Kreditbedarf das auf der Betriebsmittelseite auslöst. 

Wie sollte man vorgehen, wenn man eine Finanzierung plant? 

Sinnvoll ist es, erst einmal die eigene Finanzierungsstrategie anzuschauen, also zu schauen, wie sieht mein aktueller Finanzierungsmix eigentlich aus. Da werden Sie bei kleinen und mittleren Unternehmen ganz oft feststellen, dass das eine über die Jahre unorganisch gewachsene Gemengelage ist. Denn viele Unternehmen haben gar keine Finanzierungsstrategie, sondern machen nur Ad-hoc-Finanzierungen: Jetzt habe ich Bedarf, jetzt schaue ich nach einem Kredit, Ende. Besser ist es, ein oder zwei Jahre nach vorne zu blicken und künftigen Kreditbedarf in die aktuellen Überlegungen mit einzubeziehen – gerade auch mit Blick auf die Sicherheiten-Situation. 

Welche Rolle spielen digitale Anbieter Ihrer Ansicht nach? 

Die Finanziererlandschaft hat sich enorm verändert in den vergangenen Jahren. Unternehmen haben dadurch mehr Möglichkeiten. Rein digitale Anbieter können noch nicht die Hausbank ersetzen, aber eine sinnvolle Ergänzung sein. Der große Vorteil ist, dass keine Sicherheiten benötigt werden, und es geht in der Regel schneller als bei der Hausbank. Dass Hausbanken im gewerblichen Bereich immer mehr wegkommen vom persönlichen Banking, fördert die Bereitschaft von Unternehmen, sich alternativen Anbietern zuzuwenden. 

Wie wichtig ist der persönliche Kontakt heute noch? Wir achten zum Beispiel darauf, dass unsere Kundinnen und Kunden während des gesamten Prozesses denselben Ansprechpartner haben. 

Unternehmerinnen und Unternehmer wollen nicht irgendwo in der Hotline hängen. Idealerweise haben sie eine feste Ansprechperson, die auch nicht ständig wechselt. Sodass sie nicht drei- oder viermal dasselbe erzählen müssen. Wir reden über Kredit, über Vertrauen! Das ist immer noch der Kernpunkt. 

Wie können Unternehmen ihre Chancen erhöhen, einen Kredit mit guten Konditionen zu erhalten? 

Wir haben in Deutschland ganz viele GmbHs mit den berühmten 25.000 Euro Stammkapital. Die sind schön gewachsen, machen heute vielleicht zwei bis vier Millionen Euro Umsatz. Haben entsprechende Gewinnvorträge aus dem Ergebnis, oder es gibt Gesellschafterdarlehen. Hier geht es darum, das Eigenkapital zu strukturieren und das Stammkapital als Teil davon zu erhöhen. 100.000 Euro Stammkapital sieht nach außen ganz anders aus für Lieferanten, für Kunden und auch für Finanzierer. Auch für Auskunfteien. 

Welche Rolle spielen dabei Auskunfteien? 

Die Bedeutung der Auskunfteien ist im KMU-Bereich noch völlig unterschätzt. Unternehmen sollten mit diesen kontinuierlich kommunizieren und ihnen die Informationen geben. Das erhöht die Chancen bei allen Finanzierungsanfragen. 

Noch ein Tipp für die Finanzierungsanfrage? 

Die Unterlagen gut vorbereiten: Die müssen aktuell und aussagefähig sein. So sollte bei einer Kreditanfrage im Frühjahr der Jahresabschluss vom Vorjahr vorliegen. Bitte in das Thema lieber ein bisschen mehr Energie investieren. Digitale Anbieter brauchen häufig weniger Unterlagen, aber sie fragen im Zweifelsfall nach den Kontoauszügen der letzten drei Monate, um zum Beispiel mögliche Liquiditätsengpässe erkennen zu können. Das tun sie, um den Informationsvorsprung der Hausbanken auszugleichen, denn die kennen ja die Kontobewegungen des anfragenden Unternehmens. 

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