Neues Jahr, neue (und alte) Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft 2024

Wirtschaft 5 min Lesedauer 18.01.2024
Ein Bauarbeiter wirft einen Schatten auf eine rote Plane

Konjunktur, Inflation, Industrie, Konsum: Das sagt ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski zur Wirtschaftslage 2024.

Ein wirtschaftlich aufregender als erwartetes Jahr liegt hinter uns, doch nun heißt es: neues Jahr, neues Ich – nun ja, jedenfalls für diejenigen unter uns, die gute Vorsätze fürs neue Jahr gemacht haben. Was die deutsche Wirtschaft betrifft, dürfte das Motto 2024 vielmehr „more of the same“ lauten. Denn weder die zyklischen Gegenwinde und schon gar nicht die strukturellen Herausforderungen werden in absehbarer Zukunft verschwinden – für die deutsche Wirtschaft hat sich eine neue wirtschaftliche Realität ergeben, die auch im Jahr 2024 dominieren wird: die Stagnation.

Nicht nur der Blick aufs Thermometer, sondern auch der auf die Konjunkturindikatoren verrät, dass es mittlerweile deutlich abgekühlt hat. Die Temperaturen werden sich mit Einsetzen des Frühlings wieder erholen, nur gilt das leider nur in viel geringerem Maße für die deutsche Wirtschaft. Denn diese ist auch 2024 gefangen zwischen zyklischen Gegenwinden und strukturellen Herausforderungen.

Gute Nachrichten zur Inflation

Zu den zyklischen Gegenwinden gehören beispielsweise die Nachwehen der aggressiven geldpolitischen Straffung der Europäischen Zentralbank. Nachdem die EZB die Leitzinsen im Jahr 2022 bereits um 200 Basispunkte angehoben hatte, legte sie im Jahr 2023 noch einmal ordentlich nach und nahm weitere Zinserhöhungen von insgesamt 250 Basispunkten vor. Alles mit dem Ziel, dafür zu garantieren, dass die Inflation mittelfristig zurück zum 2-Prozent-Ziel fällt.

Immerhin was die Inflation betrifft, gibt es gute Nachrichten: der Rückgang der Inflation hat zum Jahresende weiter an Fahrt aufgenommen. Und auch wenn dies noch hauptsächlich durch negative Basiseffekte getrieben ist und nicht etwa durch echte Preisrückgänge, zumindest nicht über den breiten Warenkorb verteilt, ist die EZB unserer Ansicht nach am Zinshöhepunkt angekommen. Die Inflation wird angesichts der nachlassenden Nachfrage weiter abkühlen, zeitgleich sind die Wachstumsaussichten für Deutschland und die Eurozone bescheiden. Dementsprechend dürfte auf den Zinserhöhungszyklus der Jahre 2022 und 2023 der Zinssenkungszyklus der Jahre 2024 und 2025 folgen – dieser wird aber bei weitem nicht so aggressiv ausfallen.

Die Kreditnachfrage, sowohl von Unternehmen als auch von Haushalten, wird nur sehr langsam wieder anziehen, wenn man sich an die höheren Zinsniveaus gewöhnt hat und wenn die allgemeine Unsicherheit wieder nachlässt. Denn Unsicherheit gibt es zur Genüge. Nicht nur die bekannten Risikofaktoren wie Energiekrise und Kriege, sondern seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch eine allgemeine Politikunsicherheit.

Seitwärtsentwicklung in der Industrie

Zwar gab es kurz vorm Jahresende 2023 im Haushaltsstreit eine Einigung, doch der Widerspruch, wie umfangreiche Investitionen und ein ausgeglichener Staatshaushalt unter einen Hut gebracht werden sollen, bleibt. Der Beschluss, den ursprünglich 211,8 Milliarden Euro schweren Klima- und Transformationsfonds in der Periode 2024 bis 2027 um insgesamt 45 Milliarden Euro zu reduzieren, stellt insbesondere die langfristige Planung auf den Prüfstand. Von Planungssicherheit, die sowohl Verbraucher/-innen als auch Unternehmen aktuell bräuchten, bleibt somit erst einmal wenig übrig.

Zusätzlich wiegen Aussichten auf eine sich verlangsamende US-Wirtschaft sowie die Tatsache, dass China immer mehr vom dankbaren Abnehmer zum ernstzunehmenden Konkurrenten wird, auf die deutschen Wachstumsaussichten. Kühlt die Nachfrage sich global ab, sind das keine guten Nachrichten für eine offene, exportorientierte Volkswirtschaft wie Deutschland. Für die Industrie bedeutet dies, dass auch im nächsten Jahr nicht mit prall gefüllten Auftragsbüchern zu rechnen sein dürfte. Nur dass die Lagerbestände, die im Laufe dieses Jahres immer weiter gestiegen waren, nun langsam wieder abgebaut werden, könnte etwas Erleichterung bringen. Das wahrscheinlichste Szenario für die Industrie im Jahr 2024 bleibt allerdings das einer Seitwärtsentwicklung.

Die strukturellen Herausforderungen bleiben

Doch nicht nur der Industrie, sondern auch dem privaten Konsum dürfte es 2024 am nötigen Schwung fehlen. Denn nicht nur dürfte der Konsum angesichts der nach wie vor auf hohem Niveau liegenden Lebenshaltungskosten und dem Reallohnverlust der letzten Jahre weiterhin eingeschränkt werden, auch liegt die Sparneigung der Deutschen auf hohem Niveau, während die Einkommenserwartungen zuletzt rückläufig waren. Auch wir gehen nicht davon aus, dass im nächsten Jahr mit starken Lohnanstiegen zu rechnen ist – insbesondere nicht, da sich der Arbeitsmarkt langsam abkühlt und sich die Aussicht auf wirtschaftliche Stagnation im nächsten Jahr von Monat zu Monat verfestigt. Vorsichtssparen dürfte daher zurück an die Tagesordnung kehren, sodass der private Konsum auch im nächsten Jahr noch einmal als belastender Faktor in die Wirtschaftsrechnung fließen dürfte.

Rein konjunkturell sieht es also schon einmal nicht gut aus für die deutsche Wirtschaft. Zusätzlich werden sich immer stärker strukturelle Herausforderungen in das ohnehin schon angespannte Umfeld mischen. Die grüne Transformation, der demografische Wandel und sich verändernde Handelsströme – all das ist nicht neu, doch hat Deutschland es verpasst, um in den vergangenen Jahren mit gezielten Investitionen in Digitalisierung, Infrastruktur und Bildung gegenzusteuern.

Neues Jahr, neues Ich? Neues Jahr, neue und alte Herausforderungen trifft es eher.

Autor: Carsten Brzeski, ING-Chefvolkswirt

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