Chart of the Week | 05.04.2019

Ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen?

4 min Lesedauer 05.04.2019

Wenn es ums Auto geht, wird es in Deutschland emotional. Nicht nur, weil die Automobilindustrie einen wichtigen Beitrag zum deutschen Wirtschaftswachstum leistet und rund 2% aller Beschäftigten direkt dort beschäftigt sind. Sondern auch, weil ein Auto in Deutschland nach wie vor nicht nur Transportzwecke erfüllt, sondern diesem auch ein großer emotionaler Wert beigemessen wird. Da wirkt die wiederaufgeflammte Diskussion um ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen wie ein Stich ins Herz freie Fahrt liebender Autofahrer.

 

Umso wichtiger ist es daher in dieser Diskussion, das Thema emotionslos anzugehen (auch wenn dies zugegebenermaßen der Autorin nicht ganz leicht fällt). Aber was zeigen uns Fallbeispiele über die Kosten und Nutzen von Geschwindigkeitsbegrenzungen? Lässt sich ein wirtschaftlicher Effekt ableiten?

 

Geschwindigkeitsbegrenzungen und ihre Auswirkungen auf die Unfallstatistik

Tempodrosselungen verringern die Anzahl an Verkehrstoten und Unfällen, wie unser Chart anhand von Fallbeispielen der OECD und des International Transport Forum zwischen 1993 und 2013 zeigt. In Ländern, in denen die erlaubte Höchstgeschwindigkeit gesenkt oder aber Maßnahmen zur Überprüfung der Geschwindigkeit eingesetzt wurden, sanken die Unfall- oder Verkehrstotenstatistiken wie z.B. in Italien, Schweden oder Frankreich, deutlich. Dies trifft gleichermaßen auf Autobahnen, Schnellstraßen und ländliche Straßen zu. Auffällig hierbei ist, dass die tatsächliche durchschnittliche Geschwindigkeit nur um wenige km/h sank oder stieg, der Effekt sich in der Unfallstatistik aber deutlich bemerkbar machte. In Italien wurden beispielsweise Geschwindigkeits-Abschnittskontrollen eingeführt, wodurch das durchschnittliche Tempo um 10%, d.h. von 83,4km/h auf 75,2km/h sank, die Unfallrate aber um 32%. In Dänemark wurde dagegen das generelle Tempo auf Autobahnen von 110km/h auf 130km/h erhöht, wodurch das Durchschnittstempo um 2%, die Unfallrate aber um über 20% stieg.

 

Bei diesen Daten zu berücksichtigen sind unterschiedliche Analysemethoden, Definitionen und eine teilweise nur kleine Anzahl an Unfällen (z.B. Schweden), die jedoch in einer hohen prozentualen Veränderung resultieren, weswegen  die Unterschiede zwischen den Ländern teils erheblich ausfallen. Dennoch lässt die Datenauswertung den Schluss nahe, dass eine Reduzierung der Geschwindigkeit mit weniger Unfällen und Verkehrstoten einhergeht und umgekehrt. Auch die Erfahrungen hierzulande in Brandenburg und in Nordrhein-Westfalen zeigen, dass Tempobeschränkungen die Zahl der Unfälle senkt.

Änderung der Geschwindigkeit oder Einführung von Geschwindigkeitsüberwachungen und Änderung der Anzahl an Unfällen/Todesfällen

Quelle: OECD/ITF, ING Economic & Financial Analysis. Orange = Autobahn (ländlich/städtisch), grau = sonstige

Lässt sich ein wirtschaftlicher Effekt ableiten?

Im Jahr 2017 betrugen die gesamten Kosten für Unfälle im Straßenverkehr über 34 Milliarden Euro, was 1% des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Nach Berechnungen des Deutschen Verkehrssicherheitsrats verunglückten 2016 auf Autobahnen ohne Tempolimit pro 1000km 26 Prozent weniger Menschen tödlich als auf Autobahnen mit Tempolimit. Die Bundesanstalt für Straßenwesen beziffert den Sachschadenkosten pro Unfall mit Getöteten im Jahr 2016 auf rund 50.000€, die Personenschadenkosten auf über eine Million Euro. Das würde pro 1000km 5,46 Millionen Euro weniger bedeuten. Und das bezieht sich nur auf Unfälle mit getöteten Personen.

 

Jedoch sind hier bei weitem nicht alle Faktoren, wie z.B. die Kosten für eine längere Fahrzeit aufgrund einer verminderten Fahrgeschwindigkeit oder die Umweltauswirkungen, bei der Betrachtung der wirtschaftlichen Kosten berücksichtigt. Die Fallbeispiele zeigen jedoch, dass sich eine Senkung der zulässigen Geschwindigkeit, bzw. Geschwindigkeitskontrollen, bemerkbar auf die Unfallstatistik auswirken würden.

 

Gegen starre Geschwindigkeitsbegrenzungen

Im Zeitalter der Digitalisierung und künstlichen Intelligenz muss man jedoch nicht unbedingt eine starre Geschwindigkeitsbegrenzung einführen. Stattdessen könnten digitale Verkehrsschilder, wie sie bereits auf rund zehn Prozent der Autobahnen Anwendung finden und welche die Geschwindigkeit je nach Wettergegebenheiten oder Verkehrsaufkommen flexibel anpassen, für eine sinnvolle Regelung des Verkehrs sorgen. Oder um vollends im digitalen Zeitalter anzukommen, Onboard-Systeme in den Fahrzeugen selbst, die uns auch dem autonomen Fahren ein Stückchen näher bringen würden.

 

Und falls es doch im so digital-affinen Deutschland zu einem starren Tempolimit kommen sollte, könnte man aufs österreichische „Gustostückerl“ zurückgreifen: Denn hier dürfen seit Herbst letzten Jahres Elektrofahrzeuge 130km/h statt der auf vielen Strecken vorgegebenen 100km/h fahren – Umweltschutz und Fahrspaß in einem – sofern natürlich die Batterie dafür reicht…

Autor: Inga Fechner