Warum die Zins-Party 2023 schon wieder vorbei sein wird
Chart of the Week
Derzeit überschlagen sich die Erwartungen an die Zinsanstiegsaktivitäten von Zentralbanken. Die Rendite 10-jähriger US-Staatsanliehen stieg seit Wochenbeginn auf bis zu 3,4 Prozent, die der deutschen Anleihen zwischenzeitlich um satte 30 Basispunkte auf 1,8 Prozent. Weil die Inflation im Mai in den USA letzte Woche entgegen den Erwartungen weiter gestiegen ist – 8,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr stehen zu Buche, die Kerninflation ohne Energie- und Lebensmittelpreise liegt bei 6 Prozent – haben Finanzmarktakteure ihre Erwartungen an die US-amerikanische Notenbank Fed deutlich nach oben geschraubt. Und die Fed hat am Mittwoch dieser Woche geliefert, nach dem Leitzinsanstieg um 50 Basispunkte hat die Fed tatsächlich mit 75 Basispunkten nachgelegt, im Juli könnten nochmals 75 Basispunkte folgen.
Auch die Europäische Zentralbank zeigte sich bei ihrem Zentralbanktreffen letzte Woche restriktiver. An den Finanzmärkten werden mittlerweile kumulative Zinsanstiege von mehr als 165 Basispunkte bis Ende des Jahres eingepreist. Nicht nur für September, sondern auch für Oktober werden derzeit Zinsanstiege um 50 Basispunkte erwartet.
Doch tatsächlich ist das Wachstumsumfeld bei weitem weniger optimistisch, als es die derzeitigen Zinsanstiegsfantasien suggerieren. Die Wachstumsaussichten werden laufend von allen größeren Instituten gekürzt, auch die Fed hat ihre Wachstumserwartungen aufgrund der Zinsanstiege für dieses und nächstes Jahr nach unten geschraubt. Noch überwiegen die Inflationsängste gegenüber den sich verschlechternden Wachstumsaussichten. Aber irgendwann werden die Sorgen über das Wirtschaftswachstum zum Hauptthema der Zentralbanken – und dann ist die Zins-Party ganz schnell wieder vorbei, wie unser Chart der Woche zeigt.
Die Entwicklung der Leitzinsen in den USA und in der Eurozone (--- = ING-Prognose)
Tatsächlich erwarten wir, dass an der Zinsfront nach oben hin im nächsten Jahr nicht viel passiert – im Gegenteil. Die Fed dürfte die Zinsen in den USA aufgrund von sinkender Inflation und steigenden Rezessionssorgen in Folge der Zinsanstiege schon wieder senken. Der Basiseffekt bei Lebensmitteln und Kraftstoffen, eine schwächere Nachfrage aufgrund der Zinsanstiege und eine Stabilisierung in den Lieferketten sorgen für einen nachlassenden Preisdruck. Auch historisch gesehen spricht einiges für eine Zinssenkung: Die durchschnittliche Zeitspanne zwischen der letzten Zinserhöhung in einem Zyklus und der ersten Zinssenkung in den letzten 50 Jahren betrug nur sieben Monate. Zwischen 1970 und 2000 waren es sogar nur drei Monate. Und wenn die Fed tatsächlich im Sommer 2023 die Zinsen wieder senken sollte, ist es für die EZB sehr schwer, dagegen anzusteuern, vor allem, wenn die Wirtschaftsaussichten noch schlechter sind als in Übersee.
Noch steht die Inflation ganz im Fokus von Zentralbanken und Marktanlegern. Im Zuge der Zinsanstiege, der Basiseffekte, sich abschwächender Inflation und sich abschwächender Nachfrage rücken die wenig rosigen Wachstumsaussichten aber schon bald in den Fokus. Und dann ist die so lange herbeigesehnte Zinswende wieder ganz schnell Geschichte.