Chart of the Week | 26.01.2018

Warmer Regen

3 min Lesedauer 26.01.2018

Für die Beschreibung der wirtschaftlichen Entwicklung in Europa, vor allem aber in Deutschland, gehen den Ökonomen langsam die Superlative aus: Harte wie weiche Indikatoren jagen von einem Rekordhoch zum nächsten. Auch für die öffentlichen Haushalte ist die starke Konjunkturlage ein warmer Regen. Die gute wirtschaftliche Entwicklung macht sich dabei gleich auf zweierlei Art bemerkbar: Wenn die Wirtschaft rund läuft, steigen die Steuereinnahmen, was neue Schulden verzichtbar oder das Abtragen bestehender Schulden möglich macht und sich so auf den absoluten Schuldenstand auswirkt. Und da die Staatsverschuldung üblicherweise in Relation zur Wirtschaftsleistung angegeben wird, um die Schuldentragfähigkeit beurteilen zu können, sorgt ein höheres Bruttoinlandsprodukt für eine niedrigere Schuldenquote.

Seit dem Jahr 2011 sinken die deutschen Staatsschulden wieder, nachdem sie im Nachgang der Finanzkrise einen Höchststand von über 80 % des Bruttoinlandsprodukts erreicht hatten und nunmehr bei knapp 65 % liegen. Viel mehr als eine Folge der Sparpolitik ist diese Entwicklung ein bemerkenswertes Zeugnis der aktuellen wirtschaftlichen Stärke Deutschlands.Anderswo dauerte es etwas länger, bis die wirtschaftliche Erholung auch die Staatshaushalte erreichte. Doch seit Anfang 2015 sinkt auch in der Eurozone und der EU insgesamt die Staatsverschuldung. Seitdem konnte die öffentliche Schuldenlast in einer Höhe abgetragen werden, die rund vier BIP-Prozentpunkten entspricht, wie unser Chart der Woche zeigt.

Verschuldungsentwicklung

Die über 30 Prozentpunkte, um die Irland in diesem Zeitraum seine Staatsverschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung verringern konnte, sind natürlich ein Ausreißer und hängen mit Sondereffekten zusammen. Aber was selbst dem noch immer unterstützungsbedürftigen Griechenland gelang, funktionierte dennoch nicht überall. In einigen Ländern nahm auch während der letzten knapp drei Jahre die Staatsverschuldung relativ zum BIP zu. Tatsächlich ist die wirtschaftliche Erholung noch nicht überall gleichermaßen angekommen: Den konjunkturzyklischen Effekt auf die Staatshaushalte schätzt die Europäische Kommission für Frankreich, Italien und vor allem Griechenland noch immer negativ ein, wenn auch mit positiver Tendenz.

Günstig wirken sich hingegen die niedrigen Zinssätze aus, die Staaten auf ihre Schulden zahlen müssen. Nicht überall fällt dieser Effekt allerdings so deutlich aus wie in Deutschland: Staatliche Zinszahlungen beliefen sich hierzulande im Jahre 2016 gerade noch auf 1,3 % des Bruttoinlandsproduktes. Der Höchstwert innerhalb der vorangegangenen zehn Jahre hatte bei 2,7 % gelegen. Nach extremen Ausschlägen im Zuge der Staatsschuldenkrise hat sich dieser Wert auch für Griechenland (von 7,3 auf 3,2 %) reduziert; mit Irland (von 4,3 auf 2,2 %), Frankreich (von 2,8 auf 1,9 %) und Italien (von 5,2 auf 4,0 %) profitieren auch die anderen Länder unserer Chartauswahl von der geringeren Belastung durch den Schuldendienst.

Was noch auffällt: Trotz der zuletzt hervorragenden wirtschaftlichen Entwicklung und des Schuldenabbaus liegt auch die deutsche Staatsverschuldung noch immer über der Grenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, die seinerzeit als Euro-Aufnahmekriterium galt und noch immer in den EU-Konvergenzkriterien festgeschrieben ist – aber niemand redet darüber. Möglicherweise hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass die Einhaltung starrer Regeln ohne Augenmaß doch nicht der Weisheit letzter Schluss ist.

 

Hält die starke wirtschaftliche Entwicklung auch 2018 an?