Chart of the Week | 02.03.2018
Catch-22
Über weite Teile des Jahres 2016 schwankte die Inflation in der Eurozone um die Nulllinie und zeigte sich von Niedrig-, Null- und Negativzinsen eher unbeeindruckt. Auch das 2015 gestartete Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank hatte noch nicht den gewünschten Effekt erzielt. Eine Frage, die Mario Draghi auf den Pressekonferenzen der EZB damals regelmäßig gestellt wurde, war die nach „Helicopter Money“. Geld also, das sinngemäß „aus dem Hubschrauber abgeworfen“, das heißt den Bürgern direkt aufs Konto überwiesen würde – in der Hoffnung, dass diese es verkonsumieren und so der Preissteigerung endlich auf die Sprünge helfen würden. Draghi antwortete stets, dass diese Option im EZB-Rat nicht diskutiert worden sei – die wohl deutlichste Form einer Absage, die ihm zur Verfügung steht.
Aber selbst wenn die EZB zu diesem Mittel gegriffen hätte – was hätte es gebracht? In einer repräsentativen Umfrage wollten wir damals von Konsumenten in 13 europäischen Ländern wissen: Was würden Sie mit einem Betrag von 200 Euro tun, den Sie ein Jahr lang monatlich erhalten würden – steuerfrei und ohne das Geld irgendwann zurückzahlen zu müssen? Das Ergebnis war ernüchternd: Gerade mal ein Viertel der Befragten hatte angegeben, dass der Großteil dieses Geldes in den Konsum fließen würde – und mehr als die Hälfte davon würden keine zusätzlichen Anschaffungen tätigen, sondern lediglich ohnehin notwendige Ausgaben wie Miete oder Lebensmitteleinkäufe damit bestreiten. Der Rest hätte die Helikopter-Euros größtenteils auf die eine oder andere Art auf die hohe Kante gelegt oder Schulden abbezahlt.
Mittlerweile hat die Inflation dann doch etwas angezogen – und auch, wenn sie von der Zielmarke der EZB noch ein gutes Stück entfernt ist, dürfte die breit angelegte Verteilung von Geld an die Bürger der Eurozone vom Tisch sein. Nichtsdestotrotz bleibt Helikoptergeld ein interessantes Gedankenexperiment. Grund genug für uns, diese Frage auch in unserer jüngsten Umfrage zum Sparverhalten wieder zu stellen. Unser Chart der Woche zeigt: Sollte die EZB den Hubschrauber jetzt doch noch anwerfen, stünden die Erfolgsaussichten etwas besser als damals.
Europaweit ist es inzwischen fast ein Drittel der Verbraucher, in Deutschland sogar noch etwas mehr, das angibt, mit einer solchen Finanzspritze auf Einkaufstour gehen zu wollen. 20 Prozent der Befragten hierzulande würden sich dabei nicht auf notwendige Ausgaben beschränken, sondern sich auch mal etwas gönnen. Was daran liegen dürfte, dass sich die wirtschaftliche Erholung zu einem tatsächlichen Aufschwung verfestigt hat – in Europa noch nicht überall, ganz sicher aber in Deutschland. Menschen werden zuversichtlicher, die Arbeitslosigkeit sinkt, das Portemonnaie sitzt lockerer.
Daran zeigt sich aber auch das grundlegende Problem, mit dem geldpolitische Maßnahmen zur Ankurbelung (zu) niedriger Inflation zu kämpfen haben: Diese ist oft Resultat einer unsicheren wirtschaftlichen Lage, die bei Unternehmen für Investitionszurückhaltung, bei Arbeitnehmern für geringen Lohndruck und bei Konsumenten für fehlende Kauflaune sorgt. Und genau diese unsichere wirtschaftliche Lage bewirkt dann auch, dass das zusätzliche Geld der Zentralbanken seinen Weg bestenfalls teilweise in die Realwirtschaft findet – und stattdessen oft nur die Preise von Vermögenswerten wie Immobilien oder Wertpapieren auf neue Höhen treibt. Eine Maßnahme, die besser wirkt, wenn man sie nicht mehr braucht: Da fühlt man sich an das Dilemma des Protagonisten Yossarian aus Joseph Hellers Bestseller Catch-22 erinnert. Auch dort geht es immerhin ums Fliegen – wenn auch nicht im Helikopter.