Chart of the Week | 24.05.2018
Versprechungen vom Dolce Vita
So lange wie zuletzt in Deutschland hat die italienische Regierungsbildung dann doch nicht gedauert. Nachdem Staatspräsident Sergio Mattarella zuletzt verstärkten Druck auf die Parteien im Parlament ausgeübt hatte, fanden sich nach mehreren erfolglosen Konsultationsrunden die rechtsgerichtete „Lega“ und die Protestbewegung „5 Sterne“ zu einer Allianz zusammen, die ausländischen Beobachtern zunächst merkwürdig erscheinen mag – würde man doch die „5 Sterne“ eher der linken Seite eines klassischen politischen Spektrums zuordnen. Auf den zweiten Blick ist so eine Zusammenarbeit dann gar nicht mehr so merkwürdig, denn Links- und Rechtspopulisten finden weltweit immer häufiger zueinander. In vielen europäischen Ländern, so wie jetzt auch in Italien, ist beiden Seiten die harsche Kritik am politischen Establishment gemein – und darüber hinaus auch die Kritik an den europäischen Institutionen und ihrem Beharren auf Haushaltsdisziplin.
So stecken denn auch die Programme beider Parteien voller Wahlgeschenke. Die Steuern sollen runter, Rente und Sozialleistungen rauf. Trotz hoher Staatsschulden hatte Italien in den letzten Jahren stets die 3-Prozent-Defizitgrenze eingehalten – angesichts der vorliegenden Pläne ist das für die Zukunft zumindest fraglich. Die angeblich in einem frühen Entwurf des Koalitionsvertrags enthaltene Forderung, die Europäische Zentralbank solle auf die Rückzahlung von bis zu 250 Milliarden Euro italienischer Staatsschulden verzichten, ist aber inzwischen wohl vom Tisch, genauso wie die Idee eines Referendums zur italienischen Mitgliedschaft in der Eurozone. Und auch der designierte Regierungschef Giuseppe Conte wirkt mit seiner internationalen Vita wie ein Zugeständnis an die europäischen Partner – könnte aber auch als Feigenblatt dienen, hinter dem die Koalitionspartner weiterhin ungehemmt gegen Brüssel wettern.
Bei ihrer Kritik an den europäischen Institutionen wissen Matteo Salvini (Lega) und Luigi Di Maio (5 Sterne) dabei auch weite Teile der italienischen Öffentlichkeit hinter sich – das geht zumindest aus den Ergebnissen der jüngsten „Eurobarometer“-Umfrage der EU-Kommission hervor. Während in der deutschen Berichterstattung vor allem die hierzulande hohen Zustimmungswerte zur EU und ein Anstieg in den meisten Ländern gefeiert wurden, steht Italien bei den Umfrageergebnissen eher am anderen Ende der Skala. EU-weit konnten Bürger in unterschiedlichen Ausprägungen ihre Zustimmung oder Ablehnung verschiedener Positionen bekunden. Unser Chart zeigt den Gesamtanteil zustimmender Antworten zu verschiedenen Aspekten, die sich auf das Verhältnis zwischen dem eigenen Land und der EU insgesamt beziehen.
Dabei fällt ins Auge, dass die italienischen Zustimmungswerte teilweise noch deutlich unter denen in Großbritannien liegen – wo ja bekanntlich der Austritt aus dem Staatenbund bereits beschlossene Sache ist. Südlich der Alpen zeigt sich in den Umfrageergebnissen außerdem noch eine weitere Besonderheit, die auch das Wahlergebnis und die kürzliche Regierungsbildung beeinflusst haben dürfte: Eine überdurchschnittlich große Offenheit gegenüber Protestparteien und -bewegungen. So stimmten beispielsweise 71 Prozent der Italiener der Aussage zu: „Wir brauchen echte Veränderung und neue Parteien und Bewegungen können dafür sorgen“ – der zweithöchste Wert hinter Kroatien.
Natürlich bedeutet die Kombination aus Regierungsbeteiligung von Protestparteien und verbreiteter Europaskepsis in der Bevölkerung nicht gleich den Euro- oder EU-Austritt eines der größten Mitgliedsländer. Aber Anlass zur Besorgnis gibt diese Konstellation allemal – denn dass die EU und die Eurozone eine „Griechenland-Situation“ im Falle Italiens ebenfalls weitgehend unbeschadet überstehen würden, darf bezweifelt werden.