Die blaue Welle

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4 min Lesedauer 08.01.2021

Meinungsumfragen hatten ein enges Rennen in den beiden Stichwahlen um den Senatssitz in Georgia angedeutet, und so ist es auch gekommen. Es gilt zu bedenken, dass diese beiden Wahlen nur dadurch zustande kamen, dass der Sieger nach lokalem Recht mindestens 50 Prozent der Wählerstimmen gewinnen muss, was kein Kandidat im November schaffen konnte.

Demokraten gewinnen beide Stichwahlen zum Senat in Georgia

Der Demokrat Raphael Warnock hat mit einem Vorsprung von 1,6 % bei mehr als 98 % ausgezählten Stimmen gegen die Republikanerin Kelly Loeffler gewonnen. Jon Ossoff, der zweite demokratische Kandidat für Georgia, liegt, bei mehr als 98 % ausgezählten Stimmen, knapp mit 0,8 Prozentpunkten vor dem republikanischen Amtsinhaber David Perdue. Es besteht die Möglichkeit, dass das enge Ergebnis eine Nachzählung nach sich ziehen könnte, welches die formale Entscheidung weiter verzögern könnte.

Nichtsdestotrotz, wenn Ossoff die Wahl gewinnt, bedeutet dies, dass sowohl Republikaner als auch Demokraten mit je 50 Sitzen im Senat vertreten sein werden. Somit wird die demokratische Vizepräsidentin Kamala Harris die entscheidende Stimme im Falle eines Gleichstandes bei einer Abstimmung haben, die Demokraten hielten somit die Mehrheit im Senat.

Demokraten erringen die Mehrheit im Repräsentantenhaus und im Senat
Quelle: Politico

Was nach der Amtsübernahme zu erwarten ist

Dies hat massive Auswirkungen auf Joe Bidens legislative Ambitionen. Jedenfalls wenn er die eigenen Reihen geschlossen halten kann, wovon nicht immer auszugehen ist. Da die Demokraten sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat die Mehrheit haben, wird Joe Biden die Möglichkeit haben, ein breites Paket von Maßnahmen zur Förderung von Arbeitsplätzen, Investitionen und grüner Energie voranzutreiben. Ohne diese Mehrheit hätte er damit rechnen müssen, dass seine Agenda verwässern könnte oder sogar teilweise blockiert wird.

Das heißt aber nicht, dass es für ihn und die Demokraten ein Selbstläufer wird. Es gibt immer noch das Problem des Filibuster-Verfahrens im Senat, bei dem 60 Mitglieder zustimmen müssen, um eine Debatte zu beenden und eine Abstimmung über ein Gesetz herbeizuführen. Angesichts der Verbitterung in Washington und der stark parteiischen Natur der US-Politik werden Joe Biden und die Demokraten republikanische Gemäßigte suchen müssen, um ein Gesetz schnell zu verabschieden. Das bedeutet, dass einige der ehrgeizigeren Vorschläge selbst mit einer demokratischen Mehrheit in Repräsentantenhaus und Senat noch nicht beschlossene Sache sein könnten.

Unserer Ansicht nach wird Joe Biden zunächst versuchen jene Infrastrukturpläne voranzutreiben, die eine parteiübergreifende Unterstützung finden könnten. Sein 2 Milliarden US-Dollar Plan für grüne Energie, der die US-Stromerzeugung bis 2035 dekarbonisieren soll, wird jedoch voraussichtlich auf den Widerstand der Republikaner stoßen. Nichtsdestotrotz könnte er immer noch versuchen, den Plan mit einer einfachen Mehrheit im Rahmen des jährlichen Haushaltsabstimmungsprozesses durchzubringen.

Versprochene Steuererhöhungen für Unternehmen und einkommensstarke Haushalte stehen zur Debatte, ebenso wie der Vorschlag, bestimmte Branchen stärker zu regulieren. Angesichts der Pandemie werden diese Maßnahmen wahrscheinlich eher behutsam als schnell und aggressiv umgesetzt werden. Da 2021 der Fokus auf Wachstum und der Wiederherstellung der verlorenen Arbeitsplätze liegen wird, könnten Steuererhöhungen möglicherweise bis 2022/23 verschoben werden. Auch dieser Vorschlag könnte jedoch an den Parteidifferenzen scheitern. Spätestens seit der Amtszeit von Donald Trump wissen auch Europäer, dass der amerikanische Präsident vieles auch ohne Unterstützung des Kongresses und mit präsidentiellen Dekreten bewegen kann. Man denke dabei z.B. an Themen wie Regulierung, Teile der Handelspolitik, Einwanderung und multinationale Abkommen.

Auch wenn nicht alle Wirtschaftspläne umgesetzt werden können, dem Start der Biden-Regierung steht nichts mehr im Wege. Für die Bestätigung von Kabinettsmitgliedern und anderen Spitzenpositionen einer Regierung reicht eine einfache Mehrheit.

Autor: Leon Ernst