Vertrauensvorschuss
Chart of the Week
Die anhaltende Corona-Krise ist in vielerlei Hinsicht beispiellos – nicht zuletzt in der Divergenz ihrer Auswirkung auf Länder, Wirtschaftssektoren und Marktakteure. Denn während manche noch pessimistisch in die kurzfristige Zukunft schauen, scheint ein anderer Teil bereits einen großen Vertrauensvorschuss an die wirtschaftliche Erholung zu zahlen.
Seit etwa einem Jahr belasten das Virus und die damit einhergehenden Maßnahmen die Vorhersagbarkeit der konjunkturellen Entwicklung. Von A wie „Abstand halten“ bis Z wie „zeitweise Impfstoff-Produktionskürzungen“ – die Entwicklungen dieser Krise waren und sind nicht vorhersehbar. Das erklärt, weshalb im vergangenen Jahr Wirtschaftsprognosen für die Eurozone häufig daneben lagen. Überraschungen gibt es auch immer wieder bei den monatlichen Konjunkturdaten – positiver wie negativer Natur. Um den Grad der Überraschung zu messen, gibt es verschiedene Überraschungs-Indizes. Der wahrscheinlich bekannteste kommt von der Citigroup. Liegt der Index oberhalb von Null, war die tatsächliche konjunkturelle Entwicklung positiver als prognostiziert, liegt der Index unterhalb von Null, ist das Gegenteil der Fall gewesen.
Unser Chart of the Week zeigt den Verlauf dieses Index sowie den der langfristigen Inflationserwartungen. Genauer gesagt, den eines Finanzmarktinstruments, das die durchschnittliche Inflationserwartung über einen Fünfjahreszeitraum, der in fünf Jahren beginnt, widerspiegelt. Diese Erwartungen haben zuletzt stark angezogen. Was normalerweise als Zeichen wirtschaftlichen Aufschwunges gewertet werden kann, muss aktuell eher als Vorschuss gesehen werden, den die Marktteilnehmer bereits an die Erholung zahlen. Denn dank anhaltender Lockdowns in der gesamten Eurozone, der Ausbreitung verschiedener Virusmutationen und saisonal bedingter Limitationen im herstellenden Gewerbe ist eine kurzfristige Erholung der Wirtschaft noch nicht in Sicht.
Inflationserwartungen und Economic Surprise Index (7-Tage rollierender Durchschnitt)
Auf den ersten Blick mag es so scheinen, als gäbe es keinen Widerspruch im Verlauf des Überraschungs-Index und der Inflationserwartungen. Die Überraschungen sind schließlich zuletzt positiv ausgefallen, es scheint also aufwärts zu gehen. Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied: während die Inflationserwartungen in die Zukunft gerichtet sind, blickt der Überraschungs-Index zurück. Aktuell werden Wachstumszahlen aus dem letzten Quartal veröffentlicht, diese sind in der Tat positiver ausgefallen als erwartet. Es ist aktuell aber leider nicht davon auszugehen, dass diese Welle positiver Überraschungen weiter anhalten wird. Die Verlängerung der Lockdown-Maßnahmen sollte den Surprise Index vor allem in Europa in den kommenden Wochen wohl wieder nach unten drücken.
Die Inflationserwartungen scheinen weit hinter die wahrscheinlich anstehende Welle von schlechten Nachrichten zu schauen: Nämlich auf die konjunkturelle Erholung, die mit der Öffnung der Wirtschaft einhergehen wird, und ein Leben nach der Pandemie und der ultra-lockeren Geldpolitik. Aber trotz steigender Inflation wird uns die lockere Geldpolitik wohl erhalten bleiben. Es wird in den USA noch bis 2022 und in der Eurozone bis 2023 dauern, bis das Vorkrisenniveau erreicht ist. Erste Schritte in den Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik könnten 2022 kommen. Bis dahin gilt es für die Notenbanken allerdings eines ihrer stärksten Instrumente einzusetzen, sobald die Konjunkturdaten wieder anziehen und Inflationserwartungen somit hoch bleiben: Kommunikation.