Hochzeit mit negativen Folgen fürs Wirtschaftswachstum
Chart of the Week
Alle Quartale wieder ist es soweit und der Wirtschaftsleistung der vergangenen drei Monate wird ein Wert beigemessen. Nicht berücksichtigt wird jedoch die geleistete unbezahlte Arbeit. Zwar hat das teils gute Gründe, dennoch feiern wir heute gedanklich eine Hochzeit mit negativen Folgen für das Wirtschaftswachstum. Wir heiraten Köche, Gärtner und Haushaltshilfen und stellen uns die Frage, welchen Wert die nun unbezahlte Arbeit hätte.
Die Wirtschaftsleistung eines Landes innerhalb eines bestimmten Zeitraums lässt sich anhand drei verschiedener Ansätze bestimmen. Über die Entstehungs-, die Verwendungs- und die Verteilungsrechnung. Das Ergebnis ist auf allen drei Wegen dasselbe – und für das hinter uns liegende dritte Quartal kommt das Statistische Bundesamt zu dem vorläufigen Ergebnis, dass das Bruttoinlandsprodukt, also die Summe aller innerhalb des Quartals produzierten Güter, Waren und Dienstleistungen, bei 912,14 Mrd. Euro gelegen hat. Eine Steigerung um 2,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal und um 1,8 Prozent im Vergleich zum zweiten Quartal dieses Jahres.
Ebenso alt wie das Bruttoinlandsprodukt als Maßstab für den wirtschaftlichen Erfolg eines Landes ist allerdings auch die Kritik an der Kennzahl. Ein Kritikpunkt ist, dass nur jene Dienstleistungen und Waren berücksichtigt werden, die einen Preis haben. Dass unbezahlte Arbeit also nicht im BIP erfasst wird. Um diese Tatsache zu verdeutlichen, wird häufig das Gedankenspiel angebracht, dass eine Frau ihren Gärtner heirate – bis zur Hochzeit wurde die Dienstleistung des Gärtners im BIP erfasst, er wurde für seine Leistungen ja wahrscheinlich bezahlt. Nach der Hochzeit werden die Gartenarbeiten nicht mehr auf Basis einer Geschäftsbeziehung erledigt. Die Dienstleistung des Gärtners wird zur Haus- und somit zur unbezahlten Arbeit und taucht daher nicht mehr in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung auf. Unter sonst gleichen Umständen würde das BIP nun sogar sinken, obwohl die erbrachte Leistung nach wie vor identisch ist. Unser Chart of the Week zeigt die hypothetischen Summen, die auf Basis von unbezahlter Arbeit erwirtschaftet würden, würde eine Stunde unbezahlte Arbeit mit den gleichen durchschnittlichen Arbeitskosten bemessen werden wie bezahlte Arbeit.
Wert der unbezahlten Arbeit in Deutschland (auf Basis der Zeitverwendungserhebung 2012/2013)
Während Frauen durchschnittlich rund 4 Stunden unbezahlte Arbeit leisten, wobei der Großteil auf die Zubereitung von Mahlzeiten bzw. die Arbeit in der Küche sowie auf die Reinigung von Haus und Wohnung entfällt, erbringen Männer im Durchschnitt an 2 Stunden und 45 Minuten pro Tag unbezahlte Arbeit. Auch hier entfällt die meiste Zeit auf das Einkaufen und, wie auch bei den Frauen, auf die Zubereitung von Mahlzeiten bzw. die Arbeit in der Küche. Das geht aus der aktuellsten Zeitverwendungserhebung des Statistischen Bundesamtes von 2012/2013 hervor. Neuere Ergebnisse dürfte es im Jahr 2023 geben, denn der nächste Befragungszeitraum wird von Januar bis Dezember 2022 laufen.
Geht man davon aus, dass dieses Arbeitspensum an fünf Tagen in der Woche aufgebracht wird und bemisst die geleistete Arbeit mit den durchschnittlichen Arbeitskosten pro Stunde des Jahres 2020, die im Übrigen 36,70 Euro betragen, würde ein zusätzlicher Beitrag von insgesamt 1.489 Mrd. Euro erwirtschaftet werden, was 45 Prozent des Bruttoinlandsprodukts des Jahres 2020 entspricht. Was spricht also dagegen, unbezahlte Arbeit in die Berechnung des BIPs einfließen zu lassen? Es ist sehr schwierig, der unbezahlten Arbeit einen objektiven Wert beizumessen – doch genau dieser wird im BIP aggregiert. Ob Brot, Rasenmäher oder eine größere Anschaffung, wie ein neues Auto – all diese Dinge haben einen beobachtbaren Marktpreis. Aber was kostet es, den Wocheneinkauf zu erledigen, den Rasen zu mähen oder die Kinder zum Sport zu fahren? Es würden Werte geschätzt werden müssen, die letztlich die Aussagekraft des BIP als objektive Mess- und Vergleichsgröße verzerren würden.
Unbezahlte Arbeit ist ein wichtiger Faktor für die Entwicklung des Wohlstands einer Volkswirtschaft – da das BIP aber lediglich die reine Wirtschaftsleistung innerhalb eines Zeitraums misst, wäre nach der Hochzeit weder dem BIP noch der Frage nach dem Wohlstand ein Gefallen getan, würde die nun unbezahlte Arbeit bewertet und in die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung einbezogen werden. Es braucht alternative Kennzahlen sowie die häufigere Erfassung der Zeitverwendung, um die Entwicklung des Wohlstands einer Volkswirtschaft sinnvoll abzubilden.