Wie viel Inflation kann Wohneigentum?

Chart of the Week

4 min Lesedauer 19.11.2021

Sollten die eigentümeräquivalenten Mieten, also die Kosten, die einem durch selbst genutztes Wohneigentum entstehen, im Warenkorb zur Berechnung der monatlichen Teuerungsrate aufgenommen werden? Sicherlich, denn besonders für Länder mit hohen Eigentümerquoten wird ein entscheidender Teil des Konsums aktuell nicht entsprechend abgebildet. Ist durch die statistische Änderung allerdings rückblickend ein schlagartiger Anstieg der Inflation zu erwarten? Keineswegs, aber der Effekt auf die Gesamtteuerungsrate könnte genau groß genug sein, um Tauben zu Falken zu machen.

Das oberste Mandat der Europäischen Zentralbank (EZB) ist es, für Preisstabilität in der Eurozone zu sorgen. Dabei ist sowohl ein starker Anstieg der Preise, also eine zu hohe Inflation, als auch ein Preisrückgang, eine Deflation, nicht wünschenswert. Im Rahmen der Strategieüberprüfung änderte die EZB das Inflationsziel, also die jährliche Preissteigerung, die mittelfristig erreicht werden sollte, um das Ziel der Preisstabilität zu erreichen, auf ein symmetrisches 2-Prozent-Ziel. Was sich nicht geändert hat, ist die Art und Weise, wie die Inflation berechnet wird. Und damit fehlt im Warenkorb der Statistikbehörde Eurostat eine entscheidende Komponente zur Bestimmung der Teuerungsrate von Verbraucherpreisen.

Um die monatliche Änderung der Verbraucherpreise zu bestimmen, werden die Preise von Produkten aus 12 Hauptproduktkategorien monatlich erfasst und mit den jeweiligen Preisen des Vorjahreszeitraums ins Verhältnis gesetzt. Eine dieser Kategorien ist das Wohnen. Und genau hier setzt bei so manchem Falken spontan die Mauser ein, denn Kritikern der lockeren Geldpolitik zufolge wird die Teuerungsrate monatlich zu niedrig ausgewiesen, da im Warenkorb zwar die Mieten enthalten sind, nicht aber eine Komponente, die die äquivalenten Kosten für Immobilieneigentümer ausweist. Im Rahmen der Strategieüberprüfung gab die EZB bekannt, dass diese sogenannten eigentümeräquivalenten Mieten künftig im harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) berücksichtigt werden sollen – doch wäre die EZB tatsächlich schon längst über das eigene Inflationsziel hinausgeschossen, würde diese Komponente in der monatlichen Teuerungsrate berücksichtigt? Unser Chart of the Week zeigt, dass dies nicht der Fall ist.

HVPI (%YoY) inkl. und exkl. selbstgenutztem Wohneigentum

Der Chart zeigt die jährliche Veränderungsrate des HVPI sowie eines experimentellen HVPI, welcher die Kosten für selbstgenutztes Wohneigentum beinhaltet.
Quelle: Eurostat, EZB, ING Economic & Financial Analysis

Basierend auf einer Studie der EZB lassen wir die Kosten für selbstgenutztes Wohneigentum mit einem Gewicht von 9 Prozent in die Berechnung unseres hypothetischen HVPI-H (harmonisierter Verbraucherpreisindex plus Wohneigentum) einfließen. Die Kosten für selbstgenutztes Wohneigentum werden durch den quartalsweise erscheinenden Preisindex für selbstgenutztes Wohneigentum von Eurostat abgebildet, welcher unter anderem die Kosten für den Kauf von neuen sowie bestehenden Immobilien, für Dienstleistungen, die mit dem Immobilienkauf zusammenhängen, und den Bau von Wohneigentum abbildet. Unsere Berechnungen zeigen, dass der HVPI, würden die eigentümeräquivalenten Mieten enthalten sein, in den vergangenen fünf Jahren lediglich um durchschnittlich 0,2 Prozentpunkte oberhalb des tatsächlichen HVPI gelegen hätte. Im zweiten Quartal dieses Jahres läge ein experimenteller HVPI um rund 0,3 Prozentpunkte höher. Dies verdeutlicht zwar die anziehende Hauspreisdynamik; dass das Inflationsziel der EZB eigentlich bereits längst erreicht sei und die Geldpolitik bereits zu lange expansiv ausgerichtet wurde, lässt sich aber von der Hand weisen.

Dennoch ist es wichtig, dass nicht nur die Mietzahlungen, sondern auch die Kosten der Hauseigentümer im harmonisierten Verbraucherpreisindex berücksichtigt werden, da nicht alle Bürger eines Landes zur Miete wohnen und für sie die Komponente „Wohnen“ im Warenkorb des HVPI damit nicht richtig abgebildet wird. In vielen Ländern, unter anderem in Deutschland und den USA, wird diese Komponente dagegen bei der Bestimmung der monatlichen Teuerungsrate bereits berücksichtigt. Im Mittel liegt die Eigentümerquote in der Eurozone bei rund 66 Prozent.

Doch bis es einen offiziellen Index gibt, der die Kosten für selbstgenutztes Wohneigentum abbildet, ist noch ein wenig Geduld gefragt. EZB-Präsidentin Lagarde zufolge wäre ein offizieller, quartalsweise erscheinender, Index im Jahr 2026 wünschenswert, ein experimenteller Index bereits drei Jahre früher. Die Diskussionen innerhalb der EZB werden dadurch nicht ruhiger werden. Denn auch wenn eine Differenz von 0,2 oder 0,3 Prozentpunkten nicht viel zu sein scheint, könnte das genau der Unterschied sein, der eine Inflationsprognose der EZB schnell über die 2-Prozent-Marke bringt. Und diese 0,2 oder 0,3 Prozentpunkte sind genau der Unterschied zwischen einer Fortsetzung der ultralockeren Geldpolitik und einem langsamen Einstieg in den Ausstieg. Auch wenn es noch einige Jahre dauern wird, bis die offiziellen Zeitreihen da sind – Wohnen wird wohl schon viel eher eine wichtige Rolle bei der geldpolitischen Diskussion spielen.

Autor: Franziska Biehl