Das entscheidende Quäntchen Aktivität

Chart of the Week

4 min Lesedauer 26.11.2021

In den vergangenen Wochen hat die vierte Corona-Welle in Deutschland an Fahrt aufgenommen. Letzte Woche wurden die ersten Maßnahmenverschärfungen angekündigt – doch Deutschland scheint schon länger die Aktivität einzuschränken. Dies könnte sowohl auf ein Abklingen der Nachholeffekte als auch auf selbstauferlegte Vorsichtsmaßnahmen zurückzuführen sein – doch aus welchem Grund auch immer, die sinkende Aktivität könnte den entscheidenden Unterschied zwischen einer stagnierenden und einer schrumpfenden Wirtschaft im vierten Quartal bedeuten.

In den vergangenen Monaten hatten die Inflation und Störungen in den globalen Lieferketten die Pandemie als größtes Risiko für den wirtschaftlichen Aufschwung abgelöst. Doch kurz vor Jahresende gibt es nun doch noch einmal ein großes Comeback – seit Anfang November erreichen die Fallzahlen beinahe täglich neue Rekordwerte. Ein konstanter Anstieg in den gemeldeten Neuinfektionen pro Tag ist bereits seit Oktober zu beobachten. Um diese vierte Welle nun zu brechen, wurden in der vergangenen Woche strengere Maßnahmen zur Eindämmung des Virus beschlossen.

Und obwohl bisher keine mobilitätseinschränkenden Maßnahmen ergriffen wurden, scheint die Aktivität in Deutschland, gemessen an den Mobilitätsdaten von Google, seit Mitte Oktober rückläufig zu sein. Unser Chart of the Week zeigt, dass die Aktivität insbesondere in den Bereichen Einzelhandel und Freizeit sowie an Verkehrsstationen seitdem geringer war als noch im September.

Aktivitätsindex (Veränderung zum Basislevel (= Ø 03. Januar – 06. Februar 2020); 2-wöchiger gleitender Durchschnitt)

Der Chart zeigt die Abweichung der Frequentierung ausgewählter Orte im Vergleich zum Basislevel (03. Januar - 06. Februar 2020).
Quelle: Google Mobility Reports, ING Economic & Financial Analysis

Diese Entwicklung lässt zwei Rückschlüsse zu. Zum einen könnten die gestiegenen Fallzahlen zur Vorsicht unter den Deutschen geführt haben – und somit dazu, dass Orte, an denen größere Menschenansammlungen zu erwarten sind, weniger aufgesucht werden. Zum anderen könnte die geringere Frequentierung des Einzelhandels und von Freizeiteinrichtungen sowie von Verkehrsstationen darauf hindeuten, dass die Nachholeffekte, die den privaten Konsum seit dem Sommer deutlich unterstützt haben, langsam nachlassen.

Und der Trend dürfte sich fortsetzen: die seit dieser Woche geltenden Maßnahmen zur Einschränkung der Corona-Pandemie, auch wenn sie aktuell hauptsächlich die ungeimpfte Bevölkerung betreffen, dürften die Aktivität in den pandemiesensiblen Sektoren, wie dem Handel, der Gastronomie oder Freizeit und Erholung, deutlich schmälern. Und ein Blick zu den österreichischen Nachbarn zeigt, dass das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht sein könnte. Österreich war in den vergangenen fast zwei Jahren den übrigen Ländern der Eurozone immer einen Schritt voraus was sowohl die Entwicklung der Infektionszahlen als auch das Verschärfen oder Lockern von Maßnahmen betrifft. Den Schritt, eine bundesweite 2G-Regel in breiten Teilen des öffentlichen Lebens einzuführen, ging Österreich beispielsweise bereits am 08. November. Als hierzulande dieselbe Maßnahme getroffen wurde, schärfte das Nachbarland bereits mit einem bundesweiten Lockdown nach. Sollten die Muster der vergangenen zwei Jahre eine Art Frühindikator darstellen, ist es gut möglich, dass auch Deutschland noch einmal zu stärkeren Maßnahmen greifen muss, um die aktuelle Welle zu brechen.

Auch wenn diese Maßnahmen wahrscheinlich nicht so strikt wie in Österreich ausfallen dürften, wo bis zum 12. Dezember unter anderem ganztätige Ausgangssperren gelten, könnte jede weitere Maßnahme zur Aktivitätseinschränkung den entscheidenden Unterschied zwischen einer stagnierenden und einer schrumpfenden Wirtschaft im vierten Quartal bedeuten. Denn während die anhaltenden Lieferkettenschwierigkeiten und eine daher schwächelnde Industrie die deutsche Wirtschaft zuletzt stark belasteten und es von dieser Seite auch in den letzten Zügen des Jahres keine Wachstumsversprechen geben wird, scheint nun auch das helle Licht der vergangenen Quartale, der private Konsum, nicht mehr allzu hell strahlen zu können. Nicht zuletzt, weil die anhaltend hohe Inflation zusätzlich belastend wirken dürfte.

Spätestens jetzt steht fest, dass die deutsche Wirtschaft das Vorkrisenniveau in diesem Jahr nicht mehr erreichen wird. Ob das erste Quartal stärker ausfällt und wir ein Frühlingserwachen erleben werden, hängt stark davon ab, wie lange und in welcher Intensität die Störungen in der Lieferkette noch anhalten werden, wie sehr die Inflation den privaten Konsum dämpfen wird und welche weiteren Verschärfungen die aktuelle Welle mit sich bringt.

Autor: Franziska Biehl