Die preistreibende Kraft der Gedanken

Chart of the Week

4 min Lesedauer 14.01.2022

Sie haben zum Jahreswechsel Hochkonjunktur, die meisten lesen sie und die wenigsten stehen dazu, ihnen Glauben zu schenken – Jahreshoroskope. Wer hat sich nicht schon einmal dabei ertappt, insbesondere auf die rosigen Vorhersagen fürs neue Jahr Hoffnung zu setzen? Tatsächlich können Vorhersagen insbesondere dann wahr werden, wenn man sein Verhalten am Glauben an die Bewahrheitung ausrichtet. Und das gilt nicht nur für die Neujahrsprophezeiungen, sondern auch für die Wirtschaft.

Wenn man fest genug an etwas glaubt, dann wird es wahr – tatsächlich lässt sich dieses Phänomen nicht nur im Privaten, sondern auch in der Wirtschaft beobachten. Eine eigentlich unwahrscheinliche Situation kann durch das Handeln der Marktteilnehmer erst herbeigeführt werden. Dieses Phänomen nennt man eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Sie und alle die Sie kennen sind davon überzeugt, dass übermorgen nicht mehr genügend Nudeln im Supermarktregal stehen werden? Vermutlich werden Sie dann schleunigst Ihren Vorratsschrank füllen. Das Ergebnis: tatsächlich gehen dem Supermarkt die Nudeln aus – Sie hatten Recht, was vor allem daran liegt, dass Sie die Knappheit selbst herbeigeführt haben.

Doch nicht nur Supermarktregale können einer selbsterfüllenden Prophezeiung zum Opfer fallen – es ist sogar möglich, dass Finanz- oder Schuldenkrisen durch die Erwartungen der Marktteilnehmer ins Rollen gebracht werden. Ist die allgemeine Erwartungshaltung, dass ein Crash des Aktienmarktes bevorsteht, werden die Investoren weniger Aktien kaufen oder den gehaltenen Bestand veräußern – geschieht dies in großem Stil, wird der Markt vermutlich tatsächlich einbrechen. Ähnlich verhält es sich mit den Staatsschulden. Sind die Marktteilnehmer der Meinung, ein Land könnte zahlungsunfähig werden, werden sie höhere Zinsen verlangen, um das hohe Ausfallrisiko zu kompensieren. Die hohen Zinsen wiederum erschweren die Schuldenrückzahlung des betroffenen Landes und möglicherweise gerät ein Land so tatsächlich in die Zahlungsunfähigkeit. Können selbsterfüllende Prophezeiungen auch zusätzlich dazu beitragen, dass die Preise weiter ansteigen und die Inflation länger höher liegen wird?

Jährliche Änderungsrate des Verbraucherpreisindex

Der Chart zeigt die jährliche Änderungsrate des Verbraucherpreisindex (in %)
Quelle: Refinitiv

Um 3,1 Prozent sind die Preise im vergangenen Jahr im Vergleich zum Jahr 2020 angestiegen – der stärkste Anstieg seit dem Jahr 1993. Preisanstiege sind mittlerweile über den gesamten Warenkorb hinweg zu beobachten: In etwa die Hälfte der 92 größten Komponenten des Warenkorbs verzeichnete zuletzt eine Inflation von 4 Prozent oder mehr – vor einem Jahr waren es weniger als 10 Prozent der Komponenten, die Preisanstiege in dieser Höhe sahen.

Und genau hier laufen die Verbraucher nun Gefahr, die Preissteigerungen noch ein wenig weiterzutreiben. Denn die tatsächliche Inflation beeinflusst, wie die Verbraucher die künftige Preisentwicklung einschätzen, sprich, wie ihre Inflationserwartungen aussehen. Insbesondere sichtbare Preissteigerungen schüren die Inflationserwartungen und je breiter der Preisanstieg über den Warenkorb verteilt ist, desto sicht- und spürbarer ist er. Es ist also nicht verwunderlich, dass, der jüngsten Erwartungsstudie der Bundesbank zufolge, die Deutschen auch in diesem Jahr „deutlich steigende“ Preise erwarten.

Die Erwartung an weiter stark steigende Preise könnte nun auf zwei Wegen zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Einerseits zeigt eine Studie der EZB aus dem Jahr 2018, dass Verbraucher ihre künftigen Konsumentscheidungen an ihren Inflationserwartungen ausrichten. Verbraucher neigen dazu, große Anschaffungen vorzuziehen, wenn die Inflationserwartungen hoch sind – die Nachfrage würde aktuell also ansteigen und träfe im aktuellen Fall auf ein durch Lieferkettenstörungen und Materialmangel verknapptes Angebot. Durch diese ungleichgewichtige Situation würden die Preise tatsächlich weiter ansteigen, die Prophezeiung hätte sich erfüllt. Andererseits können höhere Preise zu höheren Lohnforderungen führen und damit zu der von einigen gefürchteten Lohn-Preis-Spirale. Jedenfalls, wenn Unternehmen die höheren Lohnkosten wiederum in Form höherer Preise an ihre Kunden weitergeben.

Soweit jedenfalls die Theorie. In der Praxis gibt es keine Beispiele dafür, dass höhere Inflationserwartungen auch tatsächlich zu einer höheren Inflation in der Zukunft geführt haben. In der aktuellen Situation stellt sich auch noch die Frage, ob Verbraucher mehr Öl, Benzin oder Gas horten werden, nur weil die Inflation so hoch ist. Das Gegenteil wird wohl eher der Fall sein. Wenn man sich Produkte oder Dienstleistungen jetzt schon kaum noch leisten kann, warum mehr davon anschaffen? 

Bei der Inflation und den Inflationserwartungen wird es mit den sich selbstverstärkenden Entwicklungen aus der Theorie wohl nichts werden. Wir halten es darum eher mit unseren eigenen Prophezeiungen und die gehen davon aus, dass sich die Inflation erst noch in der Wirtschaft ausbreiten wird, bevor sie zum Jahresende wieder Richtung 2 Prozent sinkt. Vielleicht können wir den Preisdruck ja auch mittels Kraft der Gedanken ein bisschen senken.

Autor: Franziska Biehl