In Europa ist es auch schön
Chart of the Week
Auf seiner gestrigen Sitzung beschloss der Rat der Europäischen Zentralbank die dritte Zinserhöhung in Folge: Um 75 Basispunkte, also 0,75 Prozentpunkte, ging es für die Leitzinsen nach oben. Der Einlagesatz liegt nun bei 1,5, der Hauptrefinanzierungssatz bei 2,0 Prozent. Seit Juli ist somit nicht nur die Ära negativer Einlagezinsen vorbei; in den seither vergangenen drei Monaten wurden auch die Leitzinsen um insgesamt 200 Basispunkte angehoben. In der Vergangenheit hatte es stets mindestens anderthalb Jahre gedauert, bis sich Zinserhöhungen der EZB auf 2,0 Prozentpunkte aufsummierten.
Seit dem Frühjahr sind es die „Falken“, also die Vertreter einer eher restriktiven Geldpolitik, die bei der EZB den Ton angeben. In dieser Zeit wurden Anleihekaufprogramme zurückgefahren, die Zinsen in einem von der EZB bisher nicht gekannten Tempo erhöht und die Kommunikation auf die Inflationsbekämpfung fokussiert. Von all dieser sogenannten „geldpolitischen Normalisierung“ zeigt sich jedoch einer gänzlich unbeeindruckt: der Außenwert des Euro. Nicht erst seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine befindet sich dieser im Sinkflug und hat beispielsweise gegenüber dem US-Dollar seit Mai 2021 über 18 Prozent verloren.
Wie unser Chart der Woche zeigt, konnten die von der EZB verkündeten Maßnahmen dem Euro nicht einmal kurzfristig auf die Sprünge helfen. Tatsächlich zeigten sich die Märkte eher „unterwältigt“; die EUR/USD-Wertentwicklung nach den Pressemitteilungen und -konferenzen war oft sogar negativ.
Wertentwicklung des Euro zum US-Dollar in den 6 Stunden nach Bekanntgabe der EZB-Entscheidungen
Offiziell verfolgt die EZB kein Wechselkursziel und betreibt von daher auch ihre Geldpolitik nicht mit der Absicht, den Euro gegenüber anderen Währungen zu stärken oder zu schwächen. Aber auch im Frankfurter Ostend sähe man eine Erholung des Euro-Außenwertes sicher gerne, ist der schwache Wechselkurs doch einer der Treiber der momentan galoppierenden Inflation, weil er importierte Waren teuer macht – das gilt vor allem für Energieträger und andere Rohstoffe, die an den internationalen Märkten meist in US-Dollar abgerechnet werden. Und auch wer gerade einen Urlaub in der Ferne plant, blickt mit Sorge darauf, dass er für seinen Euro in der jeweiligen Landeswährung immer weniger bekommt.
Doch selbst wenn sie wollte, könnte die EZB an der derzeitigen Euro-Schwäche wenig ändern. Schließlich ist sie nicht die einzige Notenbank, die an der Zinsschraube dreht – die Zentralbank der USA, die Fed, hat seit dem März in fünf Schritten ihre Leitzinsen um insgesamt 300 Basispunkte erhöht, bei der Bank of England waren es seit Dezember 2021 sieben Zinsschritte von insgesamt 215 Basispunkten. Außerdem blicken Anleger bei Ihren Investitionsentscheidungen ja nicht nur auf das Zinsniveau, sondern auch auf die generellen wirtschaftlichen Aussichten – und da sieht es für die Eurozone mit einem Krieg vor der Haustür und einer bevorstehenden Rezession nicht unbedingt rosig aus.
Somit muss eine Erkenntnis wohl für die nähere Zukunft als Trost herhalten: Zwischen Portugal, Finnland und Griechenland bietet auch die Eurozone viele attraktive Reiseziele.