Mit 250 Sachen in die Realwirtschaft
Chart of the Week
Im vergangenen Jahr hat die EZB die Leitzinsen in nur 6 Monaten um insgesamt 250 Basispunkte angehoben und steckt damit im aggressivsten Zinserhöhungszyklus, den der Euroraum je gesehen hat. Bis Zinserhöhungen, so umfangreich sie auch sein mögen, dann wirklich in niedrigerer Inflation resultieren, braucht es zwar einige Monate – doch die geldpolitischen Maßnahmen haben definitiv schon ihren Weg in die Realwirtschaft gefunden.
Im Juli des vergangenen Jahres erhöhte die EZB die Leitzinsen zum ersten Mal seit April 2011. Bis zum Jahresende folgten drei weitere Zinsschritte, in Summe hatten die Erhöhungen im Jahr 2022 einen Umfang von 250 Basispunkten. Doch dass mit dem Jahr 2022 nicht auch der Zinserhöhungszyklus enden würde, war bereits nach der Dezember-Sitzung der Währungshüter deutlich. Somit kam der Zinsschritt um 50 Basispunkte aufwärts gestern nicht überraschend. Und auch damit dürfte es das noch nicht gewesen sein: Weitere Zinserhöhungen um mindestens 75 Basispunkte warten in der ersten Jahreshälfte unserer Ansicht nach auf uns.
So schwindelig es einem auch werden kann, wenn man den Europäischen Zentralbankern dabei zusieht, wie sie die Zinsschraube immer weiter nach oben drehen, darf man nicht vergessen, welches Ziel damit verfolgt wird. Die Inflation langfristig und nachhaltig zurück zum 2 Prozent-Ziel zu führen, indem die realwirtschaftliche Aktivität durch das höhere Zinsniveau heruntergefahren wird. Dieser Prozess, der die Einflussnahme der Geldpolitik auf die Realwirtschaft beschreibt, wird Transmissionsmechanismus genannt und wirkt über verschiedene Kanäle. Einer dieser Kanäle ist der Kreditkanal und dass die geldpolitische Transmission über diesen bereits Wirkung zeigt, verdeutlichen die Ergebnisse der jüngsten Bank Lending Survey der EZB, die in dieser Woche veröffentlicht wurden.
Entwicklung der Kreditnachfrage von Unternehmen in der Eurozone (vergangenes Quartal; Nettoanteil in %)
Unser Chart of the Week zeigt, dass 11 Prozent der befragten Banken von einem Rückgang der Kreditnachfrage von Unternehmen im vierten Quartal 2022 berichten. Dieser Rückgang wurde hauptsächlich durch die rückläufige Nachfrage nach langfristigen Krediten getrieben, während nur rund 1 Prozent der befragten Banken angaben, dass die Nachfrage nach kurzfristigen Krediten, die häufig den Bedarf nach Betriebskapital darstellen, zurückgegangen war.
Und genau diese Tatsache spricht dafür, dass die geldpolitischen Maßnahmen des letzten Jahres bereits Wirkung zeigen – denn ein Rückgang der Nachfrage nach langfristigen Krediten kann als Rückgang der Nachfrage nach Unternehmensinvestitionen verstanden werden. Keine guten Nachrichten für die grüne Transformation, in die eigentlich dringend investiert werden müsste. Noch schlechtere Nachrichten, dass die Banken erwarten, dass die Nachfrage weiterhin rückläufig sein wird.
Doch nicht nur Unternehmen, auch Haushalte fragten in den vergangenen drei Monaten des letzten Jahres weniger Kredite nach. 29 Prozent der Banken in der Eurozone berichteten von weniger Anträgen für Konsumentenkredite und ganze 74 Prozent von weniger Anträgen für Wohnbaukredite. Während zweiteres dafür spricht, dass die Hauspreise im vierten Quartal noch weiter nachgegeben haben dürften, zeigen der Rückgang der Nachfrage nach Konsumentenkrediten sowie die Tatsache, dass auch in diesem Quartal von einem Rückgang derselbigen ausgegangen wird, dass der private Konsum in der Eurozone weiterhin belastet sein wird.
Für die EZB implizieren die Ergebnisse der jüngsten Bank Lending Survey, dass die Transmission der Geldpolitik bereits in vollem Gange ist, schon bevor der Höhepunkt des Zinserhöhungszyklus überhaupt erreicht wurde. Das könnte dafürsprechen, dass man das neutrale Zinsniveau bereits überschritten hat und sich im restriktiven Bereich befindet. Die Einigkeit von Tauben und Falken könnte dadurch schon bald wieder vorüber sein.
Für die Liebhaber von Artenvielfalt gute Aussichten, für die Eurozone-Wirtschaft und die grüne Transformation sind es allerdings eher ernüchternde Neuigkeiten – für große Unternehmensinvestitionen und private Anschaffungen, oder für mehr als nur träges Wirtschaftswachstum im Jahr 2023, spricht das nämlich ganz und gar nicht.