Ist Fußball zu vorhersagbar?

Chart of the Week

4 min Lesedauer 02.06.2023

Am Ende kam es dann doch, wie es nun mal meistens kommt: Trotz aller Dramatik am letzten Spieltag der Fußball-Bundesliga heißt der Deutsche Meister zum 11. Mal in Folge FC Bayern München. Unbestreitbar setzte sich damit auch die Mannschaft mit der höchsten Qualität im Kader durch. Dennoch hätten sich viele Fußballfans auch ohne besondere Sympathien für den Zweitplatzierten Borussia Dortmund sicher einen anderen Ausgang gewünscht, und sei es nur der Abwechslung wegen.

Bereits in der Vergangenheit hatten wir gelegentlich darauf geschaut, wie sich denn der Aufwand zum Ertrag verhält: Wer schickt mit seinem Spielerkader wie viele Millionen an Transfermarktwert auf den Rasen – und welcher Tabellenplatz kommt am Ende dabei heraus? In dieser Hinsicht dürfte der Ausgang der abgelaufenen Saison für manchen Fußballromantiker besonders ernüchternd gewesen sein, denn auf den Podiumsplätzen 1, 2 und 3 liefen auch die Mannschaften mit exakt diesen drei Plätzen in der Tabelle der Kader-Marktwerte ein. Auf Platz 4 findet sich dann auch die einzige große Abweichung der Saison: Union Berlin schaffte die Qualifikation für die Champions League mit einer Mannschaft, die nur an 10. Stelle in der Kaderwert-Rangliste steht.

Die Abweichung zwischen den Platzierungen in beiden Tabellen beträgt für die meisten Clubs drei oder vier Plätze, im Durchschnitt sind es rund zweieinhalb. Insgesamt lässt sich ein deutlich positiver Zusammenhang zwischen Tabellenplatzierung und Kaderwert erkennen – in unserem Chart der Woche zeigt sich dieser auch in der steil verlaufenden Trendlinie.

Kaderwerte und Tabellenplätze in der Fußball-Bundesliga – 2010/11 und 2022/23

Der Chart zeigt für die Saisons 2010/11 und 2022/23 die Platzierung in der Abschlusstabelle der Fußball-Bundesliga und die Platzierung in der Rangliste nach Marktwert des Spielerkaders.
Quelle: transfermarkt.de, eigene Berechnungen

Und weil Volkswirte gut vorhersagbare Ereignisse zwar sehr schätzen, aus sportlicher Sicht aber gerade das Unvorhersagbare von Interesse ist, denken viele Fußballfans wehmütig an die Saison 2010/2011 zurück – nicht nur, weil der Meister damals nicht Bayern München hieß. Sechs Plätze Unterschied zwischen Kaderwert- und sportlicher Tabelle wie aktuell bei Union Berlin waren damals kein Ausreißer, sondern Durchschnitt. Meister Dortmund stand im Hinblick auf den Marktwert des Spielerkaders nur an 7. Stelle. Hannover 96, Mainz 05 und die 1. FCs aus Nürnberg und Kaiserslautern belegten die Tabellenplätze 4 bis 7 – mit den Positionen 14, 13, 16 und 17 in der Geldrangliste. Den zweitteuersten Kader hatte der VfL Wolfsburg, der nur knapp dem Abstieg entging. Grafischer Ausdruck dieser Unvorhersagbarkeit ist die fast horizontal verlaufende Trendlinie.

„Die Leute gehen ins Stadion, weil sie nicht wissen, wie’s ausgeht“, so lautete eine der Weisheiten des Weltmeistertrainers Sepp Herberger. Aber werden wir in absehbarer Zeit mal wieder eine so wundervoll chaotische Saison wie 2010/11 erleben? Fraglich, denn die Unterschiede, die die finanzschwächeren Vereine durch eine Überperformance wettmachen müssen, werden immer größer. Der Münchener Kaderwert aus der Saison 2010/11 betrug noch unter 300 Millionen Euro. Zu den knapp 30 Millionen Euro des FC St. Pauli auf Platz 18 der Geldrangliste war das damals ein Faktor von etwa 10. Inzwischen ist auch der kleinste Kaderwert bei fast 50 Millionen angekommen, doch ist die Spitze weit enteilt: Mit knapp einer Milliarde Euro schickt der FC Bayern den zwanzigfachen Kaderwert ins Rennen.

Die Schere geht also nicht nur in absoluten, sondern auch in relativen Zahlen weiter auf – und die Vorhersagbarkeit der Liga dürfte weiter zunehmen. Hoffen wir, dass der Geist von Sepp Herberger nicht bald allein in leeren Stadien sitzt.

Autor: Sebastian Franke