Das Märchen vom Wachstumswunder
Chart of the Week
Es war einmal, vor gar nicht allzu langer Zeit, da gab es um die Wettbewerbsfähigkeit keine Sorgen. Man mochte zwar nicht von florierender Wirtschaft sprechen im Lande der Wagen und Maschinen, doch Güter wurden produziert und nachgefragt, und das wirtschaftliche Ansehen im Rest der Welt war von durchaus respektabler Natur. Doch eines Tages legte sich ein dunkler Schatten über die Produktionsstätten dieses Landes und das große Glück wurde vermehrt an anderen Orten der Welt gesucht…
So weit erst einmal genug mit der Märchenstunde. Denn, so sehr man es sich als Volkswirt von Zeit zu Zeit wünschen würde: konjunkturelle und strukturelle Herausforderungen und Wendepunkte sind kein Märchen, sondern die Realität. Und beim Blick auf die jüngsten Konjunkturdaten holt einen die selbige auch schnell wieder ein. Die Frühindikatoren zeichnen kein rosiges Bild, was die Gesamtwirtschaft betrifft. So ist zum Beispiel Deutschlands bekanntester Frühindikator, der ifo-Index, zuletzt deutlich gefallen, was nahelegt, dass die Erholung der deutschen Wirtschaft schon wieder vorbei gewesen sein dürfte, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Insbesondere die Aussichten im herstellenden Gewerbe sind schlecht, wie der Blick auf die jüngsten Einkaufsmanagerindizes oder die wachsenden Lagerbestände und die sich leerenden Auftragsbücher zeigt.
Kein Wunder, denn das deutsche Geschäftsmodell wird aktuell deutlich auf die Probe gestellt. Das günstige Importieren von Energie ist langfristig keine Option mehr, womit auch klar ist, dass die Wirtschaft transformiert werden muss. Nicht nur in Deutschland auch in anderen großen Volkswirtschaften ist das der Fall. Der Unterschied ist allerdings, dass andere Länder, so unter anderem die USA mit dem Inflation Reduction Act, bereits Anreize geschaffen haben, um diese Transformation vor der eigenen Haustür zu unterstützen. Unser Chart of the Week zeigt, dass dies bereits dazu geführt hat, dass ausländische Unternehmen immer weniger Geld in Deutschland investieren. Im Jahr 2022 wurden Direktinvestitionen mit einem Gesamtvolumen von rund 143 Milliarden US-Dollar aus Deutschland heraus getätigt. Nach Deutschland flossen allerdings nur Direktinvestitionen mit einem Gesamtvolumen von 11 Milliarden US-Dollar.
Direktinvestitionen aus und nach Deutschland
Dementsprechend sind rund 132 Milliarden US-Dollar mehr aus Deutschland heraus ins Ausland investiert worden als ins Land hineinflossen. Im Vergleich zum Vorjahr erhöhte sich die Differenz um 13,1 Milliarden US-Dollar, wobei die ausländischen Direktinvestitionen nach Deutschland im Jahr 2022 um 35 Milliarden US-Dollar niedriger lagen als im Jahr 2021, während die Direktinvestitionen von Deutschland ins Ausland um etwa 22 Milliarden US-Dollar zurückgingen. Auch wenn deutsche Unternehmen schon immer mehr ins Ausland investierten als ausländische Unternehmen nach Deutschland, war die Differenz im Jahr 2022 die größte seit dem Jahr 2005, der Zeitpunkt, ab dem die Daten vorlagen.
Im Prinzip bedeutet das, dass Deutschland als Wirtschaftsstandort im Ausland als immer unattraktiver wahrgenommen wird. Eine Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) aus dem April 2023 zeigt, dass dies insbesondere an den in Deutschland im Vergleich hoch liegenden Energie- und Bürokratiekosten, mangelnden Subventionen sowie hohe Steuerbelastungen liegt.
Wie unser Märchen wohl ausgehen wird? Nun, aktuell ist es ein offenes Ende. Doch das Gute ist: wir müssen nicht auf Zeiten warten, in denen das Wünschen wieder hilft. Die Transformation der Wirtschaft liegt allein in unseren Händen. Die Bundesregierung plant mit einer Investitionsprämie, Forschungsförderung und weniger Bürokratie zu unterstützen. Wenn die Transformation der Wirtschaft gelingt, ist es gut möglich, dass das Wachstumswunder nicht für immer nur ein Märchen bleiben muss. Für den Moment müssen wir uns allerdings mit fiktiven Geschichten darüber begnügen.