Zinspause bei der EZB, aber Finanzierungsbedingungen verschärfen sich weiter
Chart of the Week
15 Monate, 10 Sitzungen und 450 Basispunkte später gönnt sich die Europäische Zentralbank zum ersten Mal seit Juli 2022 eine Pause und lässt die Leitzinsen beim Oktober-Meeting unverändert. Für die Zinspause gibt es viele Gründe. Einer davon ist, dass der Job, die Finanzierungsbedingungen einzuengen, in den vergangenen Wochen schon an anderer Stelle übernommen wurde.
Am gestrigen Donnerstag war es so weit – dort, wo man im geldpolitischen Statement nach den vergangenen 10 EZB-Ratssitzungen die Höhe der beschlossenen Zinserhöhung finden konnte, las sich der Hinweis, dass der Zinssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte sowie die Zinssätze für die Spitzenrefinanzierungsfazilität und die Einlagefazilität unverändert bei 4,50 Prozent, 4,75 Prozent bzw. 4,00 Prozent belassen werden würden. Übersetzt heißt das so viel wie: hier ist jetzt erstmal Pause. Und für diese Pause gab es in den vergangenen 15 Monaten keinen besseren Zeitpunkt. Während der jüngste Anstieg des Ölpreises zur Folge haben könnte, dass das Inflationsziel im Jahr 2025 mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit erreicht wird, dämpft der Konflikt in Israel und dem Nahen Osten die ohnehin schon schwachen Konjunkturaussichten zusätzlich. Bis im Dezember die nächste Sitzung ansteht, werden die Währungshüter über neue Informationen, Prognosen und Einschätzungen verfügen, um den künftigen geldpolitischen Pfad trotz der vielen Unsicherheiten gestalten zu können. Doch es gibt noch einen weiteren Faktor, der guten Grund zum Pausieren bietet.
Veränderung von Markt- und Kreditzinsen (in Prozentpunkten)
Dabei handelt es sich um den jüngsten Anstieg der langfristigen Staatsanleiherenditen. In Erwartung daran, dass die EZB die Leitzinsen für längere Zeit auf hohem Niveau halten wird, sind die langfristigen Staatsanleiherenditen deutlich angestiegen. Ende September kratzte die Rendite der deutschen 10-jährigen Staatsanleihe sogar an der 3-%-Marke, das höchste Niveau seit dem Sommer 2011. Zwar sind die Staatsanleiherenditen im Vergleich zum kürzlich erreichten Hoch wieder etwas gefallen, liegen allerdings noch immer auf vergleichsweise hohen Niveaus. Und tatsächlich hat das großen Einfluss auf die Realwirtschaft.
Die Kreditzinsen orientieren sich nämlich nicht am Leitzins der EZB, sondern an den langfristigen Kapitalmarktzinsen – steigt die Rendite der 10-jährigen deutschen Staatsanleihe, ist in der Regel auch eine Aufwärtsbewegung in den Kreditzinsen zu sehen. Unser Chart of the Week zeigt, dass die Rendite der deutschen 10-jährigen Staatsanleihe zwischen Januar 2021, als sie den letzten Tiefpunkt erreichte, und August 2023 um rund 3,1 Prozentpunkte angestiegen ist. Die Kreditzinsen, sowohl für Wohnbau- und Konsumentenkredite als auch für Unternehmenskredite, stiegen in ähnlichem Umfang. Die höheren Zinsen bedeuten für Kreditnehmer vor allem eines: höhere Kosten. Dass diese zu einem Rückgang der Kreditnachfrage führen, haben die Ergebnisse der Bank Lending Survey der EZB fürs dritte Quartal 2023 erneut gezeigt. Zum vierten Mal in Folge gab eine Mehrheit der befragten Banken an, dass die Nachfrage nach Krediten jeglicher Art in den vergangenen drei Monaten zurückgegangen war. Einer der Hauptgründe für den Nachfragerückgang: das generelle Zinsniveau.
Dass die langfristigen Staatsanleiherenditen zuletzt noch einmal so deutlich angestiegen sind, dürfte sich also auch in den Kreditzinsen niederschlagen. Die Nachfrage nach Krediten dürfte daher weiterhin belastet bleiben und die Wirtschaft zusätzlich abgekühlt werden. Dass die EZB nun zum ersten Mal seit 15 Monaten eine Pause im Zinserhöhungszyklus einlegt, bedeutet also nicht, dass die Einengung der Finanzierungsbedingungen und damit die Auswirkungen auf die Wirtschaft nicht weitergehen. Modellen zufolge hat ein Anstieg der langfristigen Kapitalmarktzinsen sogar einen viermal stärkeren Einfluss aufs Wirtschaftswachstum als eine Leitzinserhöhung in ähnlichem Umfang.