Anstieg der Teilzeitarbeit als Vollzeitproblem für die deutsche Wirtschaft

Chart of the Week

5 min Lesedauer 29.03.2024

Feiertage bedeuten in der Regel nicht nur Zeit für Freunde und Familie, sondern auch verkürzte Arbeitswochen – der Trend zur Arbeitszeitverkürzung scheint sich allerdings ohnehin bereits zu entwickeln. Ein Trend, der strukturelle Schwächen, wie die sich verschlechternde Wettbewerbsfähigkeit oder Geschlechterungleichheiten, zusätzlich befeuern könnte.

Trotz des herausfordernden wirtschaftlichen Umfelds zeigt sich der deutsche Arbeitsmarkt robust. Daten von Eurostat zufolge lag die Beschäftigung im vierten Quartal 2023 beinahe wieder auf Vorpandemieniveau. Und auch wenn sich unter der Oberfläche erste leichte Risse am Arbeitsmarkt zeigen, wie beispielsweise ein Rückgang der offenen Stellen, gaben im ersten Quartal dieses Jahres noch immer rund 30 Prozent der Industrie- und ein Drittel der Dienstleistungsunternehmen an, dass ein Mangel an Fachkräften die Aktivität belaste. Ein Blick auf die jüngsten Trends am Arbeitsmarkt und auf die Zeitverwendungsstatistik zeigt, dass sich das strukturelle Problem des Fachkräftemangels künftig noch verstärken dürfte – und zwar nicht nur aufgrund des demographischen Wandels.

So wie sich der Blick unter die Oberfläche lohnt, um erste Hinweise auf den sich abkühlenden Arbeitsmarkt zu gewinnen, so lohnt er sich auch, um zu erkennen, dass Beschäftigungszuwachs nicht gleich Beschäftigungszuwachs ist. Zwar lag die Anzahl der Beschäftigten am Ende des vierten Quartals 2023 den Eurostat-Daten zufolge wieder auf dem Vorpandemie-Niveau, allerdings zeigt unser Chart of the Week, dass dieser Beschäftigungsanstieg hauptsächlich auf einen Zuwachs der in Teilzeit arbeitenden Personen zurückzuführen zu sein scheint.

Beitrag zur Veränderung der Beschäftigung im jeweiligen Sektor nach Art der Beschäftigung

(Q4 2023 gegenüber Q4 2019, in Prozentpunkten)

Der Chart zeigt den Beitrag zur Veränderung der Beschäftigung zwischen dem 4. Quartal 2019 und dem vierten Quartal 2023 im jeweiligen Sektor nach Art der Beschäftigung in Prozentpunkten
Quelle: Eurostat, ING Economic & Financial Analysis

Die Veränderung der Teilzeitbeschäftigung trug zwischen dem vierten Quartal 2019 und dem vierten Quartal 2023 etwa 2 Prozentpunkte zur Gesamtveränderung der Beschäftigung bei. Die Veränderung der Vollzeitbeschäftigung leistete einen Beitrag von -2 Prozentpunkten. Besonders starke Beiträge zur Veränderung der Beschäftigung leistete der Anstieg der Teilzeitarbeit in den Bereichen öffentliche Verwaltung, im Gesundheits- und Sozialwesen, sowie im Bereich Erziehung und Unterricht. Das sind auch jene Bereiche, in denen die ohnehin bereits hohen Teilzeitquoten noch weiter anstiegen, und zwar um 6, 4, und 5 Prozentpunkte auf 26, 46 und 48 Prozent.

Doch nicht nur in den Arbeitsmarktdaten, auch in den Ergebnissen der Zeitverwendungsstatistik des Statistischen Bundesamtes spiegelt sich der Trend zur verkürzten (bezahlten) Arbeitszeit. Während sich im Zuge der vorherigen Erhebung der Jahre 2012/2013 noch eine durchschnittliche Arbeitszeit, die sich aus Erwerbsarbeit und unbezahlter Arbeit zusammensetzt, von knapp 45 Stunden pro Woche ergab, zeigen die Ergebnisse der Zeitverwendungserhebung von 2022 einen Rückgang der durchschnittlichen Arbeitszeit auf 44,5 Stunden pro Woche. Bemerkenswerterweise ist der Rückgang der Arbeitszeit um eine halbe Stunde vollständig auf einen Rückgang der Zeit, die für die Erwerbsarbeit aufgebracht wird, zu erklären. Diese reduzierte sich von durchschnittlich 20,5 Stunden auf etwa 19,25 Stunden. Die Zeit, die für unbezahlte Arbeit, wie Kinderbetreuung und das Erledigen des Haushalts, aufgebracht wird, stieg hingegen von 24,5 auf 25,3 Stunden. Und während dieser generelle Trend, weg von der Erwerbsarbeit hin zur unbezahlten Arbeit, sowohl für Männer als auch für Frauen zu erkennen ist, bleiben weiterhin deutliche Unterschiede in der Zeitverwendung für bezahlte und unbezahlte Arbeit zwischen den Geschlechtern bestehen. Frauen brachten durchschnittlich 15,5 Stunden pro Woche für bezahlte Arbeit auf, Männer hingegen rund 23 Stunden. Unbezahlte Arbeit erledigen Frauen an durchschnittlich fast 30 Stunden pro Woche, während Männer dieser Arbeit für rund 21 Stunden nachgehen. Die größten Unterschiede bestehen nach wie vor in der Zeitverwendung für Hausarbeit sowie der Betreuung, Pflege und Unterstützung von Kindern und erwachsenen Haushaltsmitgliedern. Die Ergebnisse der jüngsten Zeitverwendungserhebung ergeben allerdings auch: rund 25 Prozent der erwerbstätigen Mütter wünschen sich mehr Zeit für die bezahlte Arbeit.

Während eines Interviews sagte Mario Draghi, seinerzeit Präsident der Europäischen Zentralbank, dass die größte Ursache für Ungleichheit die Arbeitslosigkeit sei. Im März lag die Arbeitslosenquote in Deutschland bei 5,9 Prozent und damit zwar leicht höher als die 5 Prozent, die sowohl vor Ausbruch der Pandemie oder vor Beginn des Kriegs in der Ukraine verzeichnet wurden, aber im historischen Vergleich nach wie vor auf niedrigem Niveau. Der Blick auf die jüngsten Daten legt allerdings nahe, dass es nicht zwangsläufig Arbeitslosigkeit, sondern auch strukturelle Schwächen und Dynamiken am Arbeitsmarkt sind, die die Ungleichheit befeuern dürften – nicht nur zwischen den Geschlechtern, sondern auch zwischen verschiedenen Wirtschaftszweigen.

Außerdem wird der Trend hin zur verkürzten Arbeitszeit, zumindest solange Kollege Roboter noch nicht einspringen kann, die Produktivität belasten, was den Druck auf Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit zusätzlich erhöhen dürfte. Um dem entgegenzuwirken, braucht es einen großen Frühlingsstrauß an Maßnahmen – die Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss vorangetrieben werden, um insbesondere Müttern den Zugang bzw. die Rückkehr zur Erwerbsarbeit zu erleichtern, und Arbeitsplatzautomatisierung und Weiterbildungsmaßnahmen müssen dort greifen, wo die Herausforderungen der Zukunft es nötig machen.

Autor: Franziska Biehl