Wirtschaftlicher Gesundheitszustand als Wahlkampfhelfer

Chart of the Week

5 min Lesedauer 17.05.2024

Etwa die Hälfte der Weltbevölkerung ist in diesem Jahr dazu aufgerufen, an die Wahlurnen zu treten. Auch hierzulande dürfen wir alle am 09. Juni unser Kreuz setzen, um die Zukunft Europas mitzugestalten. Immer häufiger wurde in den vergangenen Wochen davor gewarnt, die anstehende Europawahl zur Protestwahl werden zu lassen – nicht nur der Blick auf die aktuelle Zufriedenheit mit der Politik in der EU, sondern auch auf Deutschlands wirtschaftlichen Gesundheitszustand erklärt wieso.

Obwohl mehr als 60 Prozent der Deutschen im jüngsten Eurobarometer angaben, es als „sehr wichtig“ zu empfinden, in der in etwas weniger als drei Wochen anstehenden Europawahl ihre Stimme abzugeben, lag die durchschnittliche Wahlbeteiligung während der vergangenen fünf Europawahlen in Deutschland bei noch nicht einmal 50 Prozent. Im Vergleich zu Bundestagswahlen, bei denen die durchschnittliche Wahlbeteiligung der vergangenen fünf Wahlen bei 75 Prozent lag, scheinen Europawahlen als weniger relevant wahrgenommen zu werden. Und das, obwohl rund 70 Prozent der deutschen Gesetzgebung auf Entscheidungen aus Brüssel und Straßburg basieren. Ob Wirtschaftspolitik, oder Beschlüsse zur Sanierung des Wohnimmobilienmarktes – häufig werden Gesetze auf EU-Ebene verabschiedet und dann von den Mitgliedsstaaten getragen und umgesetzt. Verständlich, dass zuletzt ausdrücklich davor gewarnt wurde, die Europawahl zur Protestwahl werden zu lassen.

Protestwahlen finden häufig genau dann statt, wenn Unzufriedenheit mit der Regierungspartei, oder der ansonsten favorisierten Partei, herrscht. Anstelle der ansonsten favorisierten Partei oder der Regierungspartei erhält eine der übrigen Parteien die eigene Stimme. Und tatsächlich scheint das Potenzial für Protestwahlen bei der anstehenden Europawahl hoch. Nicht nur lag die Zufriedenheit mit der Politik in der EU unter den Deutschen zuletzt bei nur rund 30 Prozent, auch die Zufriedenheit mit der Bundesregierung lag mit 19 Prozent der Deutschen, die angaben, zufrieden oder sehr zufrieden mit der Regierungsarbeit der Ampelkoalition zu sein, auf niedrigem Niveau. Unser Chart of the Week zeigt eine mögliche Ursache für diese Unzufriedenheit. Wie bereits Bill Clintons Wahlkampfberater im Jahr 1992 feststelle: (Es ist) „die Wirtschaft, Dummkopf“.

Verbrauchervertrauen und Zustimmungsquote der amtierenden Regierungen in den USA und in Deutschland

Der Chart zeigt das Verbrauchervertrauen und die Zustimmungsquote der amtierenden Regierungen in den USA und in Deutschland
Quelle: Refinitiv; Executive Approval Database 3.0 (Ryan E. Carlin, Jonathan Hartlyn, Timothy Hellwig, Gregory J. Love, Cecilia Martinez-Gallardo, Matthew M. Singer, and Will Horne. 2023)

Was im damaligen US-Wahlkampf als eine von drei Kernbotschaften, auf die sich die Mitarbeiter des Wahlkampfteams fokussieren sollten, in den Ring geworfen wurde, hat sich als ein entscheidender Faktor für den Erfolg einer Regierung herausgestellt. Nicht nur in der damaligen Wahl zwischen Bill Clinton und George H. W. Bush, sondern auch auf der anderen Seite des großen Teichs. Denn auch in Deutschland gingen Wirtschaftsstimmung und Zufriedenheit mit der Regierung in der Vergangenheit Hand in Hand. Unser Chart of the Week zeigt, dass die Zustimmungsquote zur Arbeit der Regierung in Monaten, in denen das Verbrauchervertrauen, also die wirtschaftliche Stimmung unter den Konsumenten, hoch war, ebenfalls höher lag als in Monaten, in denen das Verbrauchervertrauen schlecht ausfiel. Sprich: Brummt die Wirtschaft, scheint die Regierung in den Augen der Verbraucher etwas richtig zu machen. Bei wirtschaftlicher Flaute sinkt nicht nur die ökonomische Zuversicht der Konsumenten, sondern auch die in die Politik.

Zwar scheint dieser Zusammenhang in den USA seit dem Jahr 2000 so gut wie gar nicht mehr zu bestehen, doch auch auf der anderen Seite des großen Teichs könnte es in diesem Jahr wieder die Wirtschaft sein, die über die Richtung des politischen Kurses ab 2025 entscheidet. Zwar ließ sich auch zuletzt zwischen der Zustimmungsquote für Präsident Biden, die seit etwa einem Jahr leicht um die 40 Prozent schwankt, und dem Verbrauchervertrauen, das sich im Laufe der letzten 12 Monate deutlich aufgehellt hat, nach wie vor kein positiver Zusammenhang feststellen. Jedoch ergab eine ABC News/Ipsos-Umfrage aus dem April, dass Wirtschaft und Inflation die wichtigsten Themen für die US-Wähler seien. Und während die Wirtschaft wieder als Wahlhelfer in den USA fungieren könnte, wird das Ergebnis der US-Wahl auch Einfluss auf die wirtschaftlichen Aussichten für Europa nehmen. Ein Sieg Trumps würde prinzipiell Aufwärtsdruck auf die Inflation ausüben. Unter anderem, weil mit strikteren Einwanderungskontrollen, die die Zahl der Arbeitskräfte begrenzen und Aufwärtsdruck auf die Lohnkosten ausüben würde, zu rechnen wäre. Zudem ist davon auszugehen, dass wieder höhere Zölle auf ausländische Güter erhoben würden, was im Umkehrschluss zu höheren Preisen führen würde. Letzteres würde sich auch negativ auf das exportorientierte Wachstumsmodell Europas auswirken. Unter einer Fortführung der Biden-Regierung gäbe es allerdings auch kein Aufatmen für die europäische Industrie - die schrittweise Verlagerung europäischer Investitionen in die USA würde sich vermutlich fortsetzen und die europäische Industrie weiter schwächen.

So wie die Ergebnisse der US-Wahlen Einfluss auf Europa ausüben werden, gibt die Unzufriedenheit mit der nationalen Regierung, ob aufgrund von wirtschaftlicher Flaute oder nicht, Anlass zur Sorge, dass in gut drei Wochen hauptsächlich die aktuell große Unzufriedenheit im Mittelpunkt stehen wird, und nicht der Europäische Gedanke. Die Europawahlen sind aber eindeutig zu wichtig, um sie zur Protestwahl werden zu lassen. Um den drohenden Wohlstandsverlust zu begrenzen und zu verhindern, dass die Wettbewerbsfähigkeit noch weiter an Fahrt verliert, und um den strukturellen Herausforderungen der Zukunft, wie der grünen Transformation der Wirtschaft, sich verändernden Handelsordnungen und dem demographischen Wandel, begegnen zu können, braucht es europäische Integration.

Autor: Franziska Biehl