Freiheit, Gleichheit, Unsicherheit
Chart of the Week
Nachdem die Ankündigung von Neuwahlen in Frankreich für große Unsicherheit an den Finanzmärkten gesorgt hatte, beruhigten die Ergebnisse der ersten Wahlrunde die Gemüter ein wenig. Doch der Schein trügt – mit dem bisherigen Ergebnis ist das Risiko um Frankreichs Staatsfinanzen noch lange nicht vom Tisch.
Dass die Europawahlen nicht nur Implikationen auf EU-Ebene, sondern auch auf nationaler Ebene haben werden, stand bereits fest, bevor die rund 189 Millionen EU-Bürger zu den Wahlurnen schritten. Noch deutlicher wurde dies allerdings, als der französische Präsident Emmanuel Macron in Reaktion auf die französischen Wahlergebnisse die Nationalversammlung auflöste und zu Neuwahlen aufrief. Denn bei den Europawahlen am 09. Juni sicherte sich die rechtspopulistische Partei Rassemblement National (RN) um Marine Le Pen mit 31,4 Prozent die meisten Wählerstimmen in Frankreich. Das Parteienbündnis rund um Macrons „Renaissance“ sammelte lediglich 14,6 Prozent der Stimmen ein.
Die Sorge vor einem Sieg der RN bei den anstehenden Neuwahlen sorgte für Panik an den Finanzmärkten – der französische Leitindex lag in der Woche nach der Europawahl im Vergleich zum letzten Handelstag vorm Wahlwochenende um mehr als 6 Prozent niedriger. Zudem stieg die Differenz zwischen französischen und deutschen Staatsanleiherenditen auf den höchsten Wert seit Anfang 2017, kurz vor den Neuwahlen erreichte sie sogar ein seit 2012 nicht mehr gesehenes Hoch. Die Differenz zwischen der Staatsanleiherendite zweier Länder, der sogenannte Spread, den unser Chart of the Week zeigt, kann als eine Art Risikoprämie interpretiert werden – es ist der Zinssatz, den Finanzmarktteilnehmer verlangen, um die riskantere Anleihe dem als risikofrei geltendem Produkt vorzuziehen. Je höher der Spread, desto höher das Risiko.
Differenz zwischen der Rendite französischer und deutscher 10-jähriger Staatsanleihen
(in Basispunkten)
Während Präsident Macron die Neuwahlen als ein „Nein zum Geist der Niederlage - Ja zum Aufstehen der Republik“ beschrieb, sahen die Finanzmärkte viel mehr die möglichen Folgen eines Wahlsiegs der Populisten. Das mögliche politische Chaos, dass zwischen dem Präsidenten und einer unter der RN geführten Regierung entstehen könnte und die Welle der wirtschaftspolitischen Unsicherheit, die Frankreich in diesem Falle zu erwarten hätte.
Denn es ist gerade einmal zwei Wochen her, dass die Europäische Kommission ein Defizitverfahren gegen Frankreich eingeleitet hat – Ärger „von ganz oben“, um die Rückkehr zu ordentlichen Staatsfinanzen sicherzustellen. Im Jahr 2023 lag die französische Staatsverschuldung bei 110 Prozent des Bruttoindlandsprodukts (BIP). Der Vertrag von Maastricht sieht eine maximale Staatsverschuldung von 60 Prozent des BIPs vor. Desweiteren darf das öffentliche Defizit, also die überschüssigen Staatsausgaben gegenüber den Staatseinahmen, nicht mehr als 3 Prozent des BIPs betragen. Im Jahr 2023 hatte Frankreich Gelder im Wert von 5,5 Prozent des BIPs mehr ausgegeben, als es eingenommen hatte. Und dabei handelt es sich nicht um ein einzelnes Jahr von schlechter Haushaltsführung – im Durchschnitt lag Frankreichs Defizit in den vergangenen 4 Jahren in jedem Jahr bei mehr als 6 Prozent des BIPs.
Zu Recht hat die Europäische Kommission Frankreich also zur Ordnung – und zur Vorlage eines Plans, wie der Haushalt wieder auf Vordermann gebracht werden soll, - gerufen. Sollte die rechtspopulistische RN nun die Neuwahlen für sich entscheiden, würde der Forderung der Kommission allerdings das Gegenteil einer restriktiven Fiskalpolitik gegenüberstehen. Mehrwertsteuersenkungen bei Treibstoff, Öl und Gas soll es geben, Arbeitnehmer unter 30 Jahren sollen von der Einkommensteuer befreit werden und um die heimische Wirtschaft zu fördern, sollen auch Unternehmen von Steuersenkungen profitieren. All diese Vorhaben lassen sich nur schwer mit dem angeordneten Sparkus vereinen.
Umso überraschender, dass es in Folge der Ergebnisse der ersten Wahlrunde vom 30. Juni an den Finanzmärkten ein gewisses Aufatmen gegeben hat. Zwar gab es keine absolute Mehrheit für das Lager der Rechtspopulisten, allerdings wurde sie mit 33,2 Prozent der Stimmen stärkste Kraft. Mit rund 28 Prozent folgt auf Platz zwei das Linksbündnis und das Lager von Präsident Macron landet mit rund 20 Prozent nur an dritter Stelle. Die Wette, Frankreich würde auf nationaler Ebene anders entscheiden als auf europäischer, ging nicht auf. Entscheidend ist nun die am Sonntag anstehende zweite Wahlrunde – denn ein Sieg der RN ist noch nicht vom Tisch. Im Falle eines Siegs bliebe die Frage, ob Schuldenstand und Schlaraffenlandversprechen gegeneinander auf den Prüfstand gestellt werden. Bei der Rücknahme der Rentenreform gab es immerhin bereits die Einsicht, dass dies schlecht mit der aktuellen wirtschaftlichen Lage zu vereinbaren sei. Auch die tatsächliche Positionierung gegenüber der EU müsste sich erst noch zeigen. Hierfür gab es in der Vergangenheit sowohl Positiv- als auch Negativbeispiele.
Doch auch ein erneuter undeutlicher Wahlausgang wäre kein Ergebnis, das zu übermäßiger Euphorie führen sollte. Denn die Folge dürfte eine langwierige Hängepartie um die neue Regierungsbildung sein, während welcher Frankreich, insbesondere für europäische Themen, unter Umständen nicht als verlässlicher Partner bereitstünde. Zum Aufatmen war es zu Beginn der Woche also noch deutlich zu früh – die Wahlen in Frankreich sind noch nicht entschieden und die künftigen Weichen für Europa somit noch nicht gestellt.