Venture Capital in Deutschland – am Geldhahn drehen oder am Mindset?

Chart of the Week

4 min Lesedauer 12.07.2024

Die US-Wirtschaft kühlt sich langsam ab. Schwache Zahlen im verarbeitenden Gewerbe, im Bau, aber auch eine stärkere Abkühlung auf dem Arbeitsmarkt machen eine erste Zinssenkung im September wahrscheinlicher. Dennoch erwarten wir, dass die US-Wirtschaft dieses Jahr um 2,4 % wächst. Die deutsche Wirtschaftsleistung dürfte es dagegen mit Ach und Krach über die 0-Linie schaffen. Woher kommen die Unterschiede? Unter anderem auch durch die Risikobereitschaft und das Mindset. Denn Risikokapitalinvestitionen werden hierzulande nach wie vor stärker gescheut als in Übersee.

Mit Risikokapital werden Unternehmen bzw. Unternehmensideen finanziert, bei denen nicht klar ist, ob sie erfolgreich sein werden und bestenfalls die etablierte Unternehmens-Landschaft auf den Kopf stellen oder scheitern und das investierte Kapital somit vernichtet wird. Kapitalgeber sind private oder institutionelle Investoren, die mit ihrer Beteiligung oftmals Einfluss aufs Unternehmensgeschehen erhalten. Dabei klafft eine große Lücke zwischen dem Investitionsvolumen in den USA und Deutschland. Denn während in Deutschland 2023 rund 0,06 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Risikokapitalinvestitionen flossen, war es in den USA mit 0,47 % fast achtmal so viel, wie unser Chart der Woche zeigt. Während Deutschland im Schnitt der letzten 17 Jahre auf einen Wert von 0,04 % des BIP kommt, lagen die Investitionen in den USA beim 10-fachen dieses Wertes.

Risikokapitalinvestitionen in Deutschland und den USA

insgesamt, in % des BIP

Risikokapitalinvestitionen in Deutschland und den USA
Quelle: OECD, ING

Dabei unterscheiden sich die Investitionen in allen Phasen der Finanzierung: Während in Deutschland in der „Seed“-Phase, also der Grundsteinlegung bzw. dem Prototypen-Bau, 0,004 % des BIP investiert werden, wird in den USA in dieser hoch riskanten Phase mit 0,06 % schon das gesamte deutsche Investitionsvolumen gemessen am BIP in die Hand genommen. In der Start-Up/Frühphase und späteren Unternehmensphase wird in Deutschland etwa gleich viel investiert, während in den USA besonders viel Geld in Unternehmen fließt, die sich in der späteren Unternehmensphase (Later-Stage-Finanzierung) befinden. Der Peak, der in den USA im Jahr 2021 verzeichnet wurde, kommt daher, dass es eine höhere Konzentration von Kapital auf eine Gruppe etablierter Firmen gab. So wurden 2021 insgesamt Venture-Capital-Investitionen im Umfang von satten 1,1 % des BIP getätigt, auf Later-Stage-Finanzierungen entfielen dabei 0,7 % des BIP. Eine Rekordsumme, auch für US-amerikanische Verhältnisse.

Obwohl das risikoaverse Deutschland da nicht mithalten kann, bilden wir immerhin nicht das Schlusslicht in der EU. Diese Positionen haben Slowenien – mit gerade einmal 0,0008 % des BIP – Lettland, Portugal und die Slowakei inne. Von der Spitze, die Estland und Dänemark mit rund 0,14 % des BIP anführen, sind wir aber auch noch ein gutes Stück weit entfernt.

Auch von Seiten der Regierung hat sich in den letzten Jahren einiges getan: So gibt es seit 2021 den Zukunftsfonds, mit dessen Hilfe die Finanzierung von Start-ups über verschiedene Bausteine gefördert werden soll. Bis 2030 stehen 10 Milliarden Euro an öffentlichen Mitteln zur Verfügung plus Sondervermögen aus dem European Recovery Program (ERP), die darauf abzielen, weiteres privates Kapital zu hebeln. Eine nicht zu verachtende Summe, wurden 2023 insgesamt knapp 2,5 Milliarden Euro an Venture-Capital-Investitionen getätigt. Als bis dato zehnter Baustein ist im Juni dieses Jahres der „High-Tech-Gründerfonds (HTGF) Opportunity Fonds“ mit einem Volumen von 660 Millionen Euro hinzugekommen. Mithilfe des Fonds können bis zu 50 Millionen Euro gemeinsam mit privaten Investoren in ausgewählte Portfolio-Unternehmen investiert werden, die sich in späteren Unternehmensphasen befinden.

Und eine weitere gute Nachricht gibt es auch noch: Laut dem aktuellen halbjährlich erscheinenden Report „Next Generation - Start-up-Neugründungen in Deutschland“ nimmt die Dynamik bei den Neugründungen von Start-Ups in Deutschland wieder zu, ein Fünftel aller Neugründungen entfällt dabei auf den Bereich Software. Bleibt zu hoffen, dass den neugegründeten Unternehmen genug risikoaffines Mindset und Venture Capital zur Verfügung steht, um die disruptiven Ideen auch in die Tat umzusetzen.  

 

Autor: Inga Fechner