„Meisterschaftsflation“ vs. „Swiftflation“ – wer macht das Rennen?

Chart of the Week

4 min Lesedauer 02.08.2024

Weder sportlich noch wirtschaftlich hat die Europafußballmeisterschaft 2024 Deutschland ein Sommermärchen beschert – was nicht bedeutet, dass der wirtschaftliche Einfluss des Events gleich Null war. Während der Rest der Welt von „Swiftflation“ spricht, scheint die selbsternannte Fußballnation ihrem Namen treu zu bleiben – die „Meisterschaftsflation“ könnte hierzulande schwerer wiegen.

Der Europameisterschaft vorweg ging die Frage, ob Deutschland wohl jemals wieder Meister werden könne – sowohl im sportlichen als auch im auf die Wirtschaft übertragenen Sinne. Die in dieser Woche veröffentlichten Daten zum Wirtschaftswachstum fürs zweite Quartal haben gezeigt, dass die selbsternannte Fußballnation wirtschaftlich gesehen sogar noch weiter vom Meistertitel entfernt ist als aus sportlicher Sicht. Die deutsche Wirtschaft schrumpfte im zweiten Quartal gegenüber dem Vorquartal voraussichtlich um 0,1 Prozent. Nicht nur unter den großen Eurozone-Ländern ist Deutschland damit das Schlusslicht. Nach einem überraschend guten Start zu Jahresbeginn konnte das Momentum nicht beibehalten werden und die Erfolgsgeschichte hatte noch gar nicht richtig angefangen, da war sie auch schon wieder vorbei. Verschiedene zyklische und strukturelle Gegenwinde wogen schlicht und ergreifend schwerer als kurzfristige Euphorie und Jubelstimmung.

Die deutsche Wirtschaft angekurbelt hat die Europameisterschaft im eigenen Land also schon mal nicht. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie überhaupt keinen wirtschaftlichen Effekt hatte. Bereits vor Beginn des Turniers häuften sich die Berichte darüber, dass Hotelpreise in den Austragungsorten um rund das Zehnfache höher angesetzt wurden als gewöhnlich. Und tatsächlich scheint es, als hätte die EM im eigenen Land durchaus dazu beigetragen, dass die Inflation im Juni nicht stärker zurückgegangen ist. Unser Chart of the Week zeigt, dass die Komponente Hotel & Restaurants in diesem Jahr einen für Juni außerordentlich großen Beitrag zur monatlichen Preissteigerung, gemessen am harmonisierten Verbraucherpreisindex, geleistet hat.

Beitrag der Komponente Hotels & Restaurants zur deutschen Gesamtinflation (%MoM) im Juni des jeweiligen Jahres

(in Prozentpunkten)

Der Chart zeigt den Beitrag der Komponente Hotels & Restaurants zur Gesamtinflation (%MoM) im Juni des jeweiligen Jahres in Prozentpunkten.
Quelle: LSEG Datastream; ING Economic & Financial Analysis

Die Preise für Hotels und Restaurants lagen im Juni um 0,9 Prozent höher als im Mai, was einen Beitrag zur monatlichen Gesamtinflation, die bei 0,2 Prozent lag, von 0,07 Prozentpunkten leistete. Zuletzt war der Beitrag in einem Juni im Jahr 2006 so hoch – damals fand die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland statt. Wenn man da mal nicht von „Meisterschaftsflation“ sprechen kann!

Doch nicht nur sportliche Ereignisse, auch Konzerte von Weltstars haben in der Vergangenheit Potenzial gezeigt, um die Inflation in die Höhe zu Treiben. So hieß es im vergangenen Jahr, dass Beyoncé die schwedische Inflation befeuert hätte und zuletzt begab sich Europa auf die Suche nach der „Swiftflation“ – dem Einfluss der Konzerte der Sängerin Taylor Swift auf die monatliche Preisentwicklung. Der Beyoncé-Effekt zeigte sich im vergangenen Jahr in Deutschland nicht – doch wie sieht es mit der preistreibenden Kraft der „Swifties“ aus? Der harmonisierte Verbraucherpreisindex lag im Juli mit 2,6 Prozent nicht nur höher als im Juni, sondern auch höher als erwartet. Im Vergleich zum Vormonat Juni stiegen die Preise statt der im Konsens erwarteten 0,4 Prozent um 0,5 Prozent. Doch ist die höher als erwartet ausgefallene Preissteigerung tatsächlich ein Zeichen dafür, dass die im vergangenen Monat insgesamt sieben, an drei Orten gespielten, Konzerte der Künstlerin die Inflation beeinflusst haben?

Die finalen Daten zu den einzelnen Komponenten im Warenkorb liegen für Juli zwar noch nicht vor, doch die auf Basis der beobachteten Preissteigerungen in den einzelnen Bundesländern geschätzte Preisentwicklung der Komponente Hotel & Restaurants zeigt: im Vergleich zu Juni sind die Preise für Hotels & Restaurants im vergangenen Monat wahrscheinlich gesunken. Nicht nur hätte demnach die erste Hälfte der Europameisterschaft einen stärkeren Einfluss auf die Preisentwicklung genommen als die zweite, für die deutsche Inflation wäre Taylor Swift sogar unbedeutend gewesen. Auch wenn Deutschland titellos bleibt, die „Meisterschaftsflation“ hat die „Swiftflation“ deutlich geschlagen.

Autor: Franziska Biehl