Ziel erreicht?
Chart of the Week
Gute Nachrichten kamen letzte Woche aus Wiesbaden: Die deutsche „headline inflation“, also der berichtete Gesamtwert für die Preissteigerung, lag gemessen am Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamts im August bei voraussichtlich 1,9 Prozent nach 2,3 Prozent im Juli – das ist der niedrigste Wert seit über drei Jahren. Der eurozonenweit harmonisierte Index, mit dem die Europäische Zentralbank arbeitet, sank noch kräftiger – von 2,6 auf 2,0 Prozent.
Für die gesamte Eurozone ging der Wert von 2,6 auf 2,2 Prozent zurück, ist also noch eine Winzigkeit vom angestrebten Zielwert in Höhe von 2,0 Prozent entfernt. Dennoch dürften die – vor allem in der größten Volkswirtschaft der Eurozone – guten Zahlen eine Zinssenkung bei der EZB-Ratssitzung in der kommenden Woche wahrscheinlicher gemacht haben. Schließlich betonen die Währungshüter stets ihre „data dependency“, also ihre Entscheidungsfindung in Abhängigkeit von den vorliegenden Daten – und immerhin lagen die Inflationszahlen bei der letzten Zinssenkung auf der Juni-Sitzung noch deutlich höher. Auch angesichts weiterhin schwacher Wachstumsaussichten dürften die jetzigen Werte den Fuß auf dem geldpolitischen Bremspedal etwas leichter werden lassen.
Unklar bleibt jedoch, wohin die Reise anschließend gehen wird. Dass einer eventuellen September-Zinssenkung auf den nächsten Ratssitzungen weitere folgen werden, ist keineswegs ausgemacht. Denn hinter der zurückgegangenen Gesamtinflation verstecken sich gleich mehrere Zahlen, auf die man im Frankfurter Ostend weniger wohlwollend blicken dürfte, wie unser Chart der Woche zeigt.
Gesamtinflation, Kerninflation und Inflation im Dienstleistungsbereich
In Deutschland seit Jahresbeginn, jeweils in Prozent zum Vorjahresmonat
So schaut die EZB gerne auf die sogenannte Kerninflation, aus der die Positionen Energie und Lebensmittel herausgerechnet wurden. Diese gelten traditionell als schwankungsintensiv, so dass der Kerninflation eine höhere Aussagekraft für Prognosen der zukünftigen Entwicklung zugeschrieben wird. Weil der aktuelle Rückgang der Gesamtinflation unter anderem auf sinkenden Energiepreisen beruht, hält sich die Kerninflation weiterhin oberhalb des 2-Prozent-Ziels.
Auch die Inflation im Dienstleistungsbereich liegt schon seit geraumer Zeit deutlich über dem Zielwert und macht keine Anstalten, sich diesem anzunähern. Da die Bereitstellung von Dienstleistungen meist mit höherem Personalaufwand einhergeht als die Herstellung von Waren, spielt für die Preisentwicklung in diesem Bereich das Lohnwachstum eine große Rolle. Auf dieses hatten wir schon in der vergangenen Woche einen Blick geworfen und festgestellt, dass die gemessene Verlangsamung im Anstieg der Löhne trügerisch sein kann.
Die auf den ersten Blick guten Inflationszahlen verstellen also ein wenig den Blick darauf, dass bei der Preisentwicklung noch längst nicht wieder alles in bester Ordnung ist. Sie zeigen zwar, dass trotz dauerhaft höherer Kern- und Dienstleistungsinflation die „headline number“ durchaus die Zielmarke erreichen kann – aber ein solches Auseinanderklaffen ist selten von Dauer. Bleiben Lohnwachstum und Kerninflation in der größten Volkswirtschaft der Eurozone hoch, dürfte sich der Spielraum für Zinssenkungen bald wieder einengen.