Im Gleichschritt abwärts

Chart of the Week

4 min Lesedauer 20.09.2024

Die in dieser Woche beschlossene Senkung der US-Leitzinsen um 50 Basispunkte, also 0,5 Prozentpunkte, fiel etwas stärker aus, als viele Ökonomen zuletzt erwartet hatten. Stabile Arbeitsmarktzahlen und etwas höhere Inflation als erwartet hatten eher auf einen Schritt von 25 Basispunkten hingedeutet. Letztlich entschied das Federal Open Market Committee aber das, was die Märkte bereits eingepreist hatten.

Beim vergleichenden Blick auf Fed und Europäische Zentralbank erweckte die zeitliche Abfolge dabei ein wenig den Eindruck von verkehrter Welt. Nicht nur kam die Zinssenkung der Fed eine Woche nach derjenigen der EZB; auch hatte letztere ja bereits im Juni den aktuellen Zinssenkungszyklus eingeläutet, obwohl ansonsten meistens die Amerikaner die Richtung vorgeben. Während böse Zungen daher behaupten, dass die EZB quasi am Rockzipfel der Fed hinge, verweisen andere Experten auf den zyklischen Versatz, der zwischen der US- und der europäischen Wirtschaft oft zu beobachten ist. Aber woran es auch liegen mag: Dass die Leitzinsen in der Eurozone denen in den USA oft folgen, ist eine leicht beobachtbare Tatsache.

Neben der Untergrenze der Fed Funds Rate, die als Korridor mit einer Breite von 25 Basispunkten angegeben wird, zeigt unser Chart der Woche auch den Zinssatz für die Einlagefazilität, den die EZB seit der Überarbeitung ihres „Operational Framework“ als den maßgeblichen Leitzinssatz verwendet. Gut zu erkennen: Sowohl Beginn als auch Ende des zurückliegenden Zinserhöhungszyklus fanden in den USA um Monate früher statt.

Und auch wenn die anhaltende Wachstumsschwäche diesseits des Atlantiks die EZB im Juni bewogen hat, den ersten Schritt in die Gegenrichtung dieses Mal vor der Fed zu machen, so deutet doch einiges darauf hin, dass mit der jetzigen Entscheidung die Amerikaner wieder ihre Führungsrolle übernommen haben. Denn auch die EZB wird wohl früher oder später nicht mehr darum herumkommen, die Zinsen schneller beziehungsweise kräftiger zu senken als zuletzt. Aber auch ohne den Zinsentscheidungen der Fed eine Leit- oder zumindest Prognosewirkung für die EZB zuzuschreiben, lohnt sich der Blick nach Washington alleine schon aufgrund einiger interessanter Unterschiede in der Verfahrensweise. Während sich die EZB beispielsweise hinsichtlich des Abstimmungsverhaltens ihrer Ratsmitglieder stets bedeckt hält, lässt man sich zwischen Weißem Haus und Lincoln Memorial etwas offenherziger in die Karten schauen.

Leitzinsen auf beiden Seiten des Atlantiks

(Einlagefazilität der EZB und Untergrenze der Fed Funds Rate, in Prozent)

Der Chart zeigt den Verlauf der Leitzinsen von EZB und Fed seit Anfang 2022.
Quelle: Europäische Zentralbank, Federal Reserve System Board of Governors

So veröffentlicht die Fed namentliche Abstimmungsergebnisse – es ist also bekannt, welches Mitglied des Komitees gegen die jetzt beschlossene Senkung um einen halben Prozentpunkt stimmte und einen Schritt von nur 25 Basispunkten vorgezogen hätte. Nicht mit Namen versehen ist hingegen eine andere Besonderheit der Fed: der sogenannte „Dot Plot“, ein Diagramm, auf dem jedes Mitglied seine Einschätzung über das Leitzinsniveau zum Ende des aktuellen und der drei folgenden Jahre sowie für die weitere Zukunft mit einem anonymen Punkt markiert. Dabei handelt es sich nicht um eine definitive Vorhersage des eigenen Abstimmungsverhaltens – ansonsten könnte man ja auf das Abhalten der Sitzungen verzichten und den Verlauf der Leitzinsen einfach anhand des Diagramms auf Jahre im Voraus festlegen, was natürlich nicht sinnvoll wäre. Vielmehr spiegeln sich darin die Einschätzungen der Mitglieder über die künftige ökonomische Entwicklung und die wahrscheinliche Reaktion der Fed darauf.

Das macht den „Dot Plot“ interpretationsbedürftig: Setzt ein Mitglied seinen Punkt höher und ein anderes Mitglied seinen Punkt niedriger, kann das bedeuten, dass sie unterschiedliche Erwartungen über die wirtschaftliche Situation zu diesem zukünftigen Zeitpunkt haben – es kann aber auch heißen, dass sie die Situation zwar ähnlich einschätzen, aber unterschiedliche Auffassungen darüber haben, wie die Fed darauf reagieren wird oder sollte. Hinsichtlich der Marschrichtung für die nähere Zukunft ist das aktuelle Diagramm jedoch recht eindeutig: 17 von 19 Mitgliedern des Board of Governors erwarten noch mindestens eine weitere Zinssenkung bis zum Ende dieses Jahres; 14 gehen davon aus, dass die Leitzinsen zum Ende des kommenden Jahres unter der Schwelle von 3,5 Prozent liegen werden.

Auch wenn sich die EZB nicht in ähnlicher Weise in die Karten schauen lässt wie die Fed, gab Christine Lagarde auf der Pressekonferenz nach der letzten Ratssitzung zumindest zu, dass die künftige Richtung für die Leitzinsen „ziemlich eindeutig“ sei – auch atlantikübergreifend herrscht also offenbar Einigkeit. Egal, wer letztlich voranmarschiert: Mit den Leitzinsen geht es im Gleichschritt abwärts.

 

Auch in unserem Podcast „Carsten’s Corner“ thematisieren wir in dieser Woche die Zinsentscheidung der Fed.

Autor: Sebastian Franke