(Langfristige) Trendwende am deutschen Immobilienmarkt

Chart of the Week

4 min Lesedauer 27.09.2024

Passend zur neuen Zinswende der EZB spiegelt sich die leichte Erholung am Immobilienmarkt, die bereits zu Jahresbeginn eingesetzt hatte, in steigenden Immobilienpreisen wider. Von hier aus geht es allerdings nicht zurück zu „höher, schneller, weiter“ – der deutsche Immobilienmarkt wird in Zukunft vielmehr geprägt sein von „differenzierter, struktureller, nachhaltiger“.

Für den deutschen Wohnimmobilienmarkt gab es zwischen 2015 und 2022 nur eine Richtung: aufwärts. Zwischen dem 1. Quartal 2015 und dem 2. Quartal 2022 waren die Immobilienpreise um beinahe 70 Prozent gestiegen. Eine Entwicklung, die ihresgleichen sucht. Im gleichen Zeitraum stiegen die Verbraucherpreise um rund 17 Prozent, die Löhne um 24 Prozent. Der Grund für das Davongaloppieren der Wohnimmobilienpreise? Die Nachfrage überstieg das Angebot bei weitem. Denn Wohnbaukredite waren spätestens, seit die EZB im Jahr 2016 die Nullzinsperiode eingeleitet hatte, günstig zu haben. Als den Finanzmarktteilnehmern Anfang 2022 deutlich wurde, dass es bei der EZB einen Kurswechsel geben würde, schnellten die Kapitalmarktzinsen und damit auch die Kreditzinsen in die Höhe. Lagen die Zinsen für einen Wohnbaukredit am Ende des Jahres 2021 durchschnittlich noch bei rund 1,3 Prozent, so waren es im Juli 2022, als die EZB die Zinsen im vergangenen Zinserhöhungszyklus zum ersten Mal erhöhte, bereits 2,85 Prozent. Immobilienkredite hatten sich also schlagartig deutlich verteuert, und das in einer Situation, in der die Lebenshaltungskosten insgesamt stark angestiegen waren und die Lohnentwicklung mit der Inflation nicht Schritt halten konnte.

Das Ergebnis? Die Nachfrage nach Wohnimmobilien ging zurück, und in Reaktion waren Verkäufer gezwungen, die Verkaufspreise nach unten zu korrigieren. Es folgte ein zwei Jahre andauernder Rückgang der Immobilienpreise. Zwischen dem im 2. Quartal 2022 erreichten Hoch und dem im 1. Quartal 2024 erreichten Tief fielen sie um insgesamt 13 Prozent. Eher eine Korrektur als eine geplatzte Blase, wenn man den rasanten Preisanstieg der vorangegangenen Jahre berücksichtigt. Wie unser Chart of the Week zeigt, fand die Preiskorrektur im 2. Quartal 2024 ein Ende. Zum ersten Mal seit zwei Jahren sind die Immobilienpreise in Deutschland im Vergleich zum Vorquartal gestiegen, und zwar um 1,3 Prozent.

Häuserpreisindex Deutschland

(% im Vergleich zum Vorquartal)

Der Chart zeigt den Häuserpreisindex Deutschland (% im Vergleich zum Vorquartal)
Quelle: Statistisches Bundesamt; ING Economic & Financial Analysis

Sowohl die Preise für Bestandsimmobilien als auch die Preise für Neubauten erholten sich zwischen April und Juni im Vergleich zu den ersten drei Monaten des Jahres, nämlich um 1,5 Prozent bzw. um 1 Prozent. Insgesamt lagen die Immobilienpreise damit allerdings nach wie vor noch um 12 Prozent niedriger als vor zwei Jahren.

Die leichte Erholung am Immobilienmarkt hatte bereits zu Jahresbeginn eingesetzt – es dauerte allerdings bis zum Frühling, bis sich die vorsichtige und graduelle Wiederbelebung des Marktes in steigenden Preisen widerspiegelte. So, wie die Erwartung steigender Leitzinsen sich bereits im Vorfeld zur tatsächlichen Einleitung des EZB-Zinserhöhungszyklus im Jahr 2022 in gestiegenen Kapitalmarkt- und Kreditzinsen widerspiegelte, resultierte die Erwartung an Zinssenkungen der EZB in niedrigeren Kreditzinsen. Dies wiederum beflügelte die Nachfrage nach Wohnimmobilienkrediten. Im Vergleich zum Vorjahr stieg das Neugeschäftsvolumen von Wohnimmobilienkrediten an private Haushalte im ersten Halbjahr 2024 um 15 Prozent. Das vergleichsweise niedrigere Zinsniveau traf auf Hauspreise, die auf einem Dreijahrestief lagen, sowie auf das stärkste Reallohnwachstum seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 2008. Sprich: die Leistbarkeit des Kaufs von Wohneigentum hatte sich verbessert, wenn auch nur von niedrigem Niveau.

Mit Blick auf die Zukunft dürfte sich die vorsichtige Erholung am Wohnimmobilienmarkt fortsetzen. Das Stichwort ist hier allerdings ‚vorsichtig‘, denn trotz verbesserter Leistbarkeit bleiben die Finanzierungskosten auf erhöhtem Niveau und die Verbraucher sind angesichts des hohen Niveaus an wirtschaftspolitischer Unsicherheit zurückhaltend, was große Investitionen betrifft. Während der Immobilienmarkt ein neues Gleichgewicht findet, werden zudem strukturelle Themen immer stärker in den Vordergrund rücken. Der „G-Faktor“, der Grünheitsgrad einer Immobilie, wird weiterhin starker Treiber in der Preissetzung bleiben, zudem wird die angespannte Lage im Bausektor dazu führen, dass mit der allmählichen Erholung am Immobilienmarkt das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage, insbesondere bei energieeffizienten Neubauten, wieder zunimmt.

Die jüngsten vorsichtigen Lebenszeichen des deutschen Immobilienmarktes sind daher bei weitem nicht das Ende der aufregenden Zeit, in der es vom Immobilienmarkt etwas anderes zu berichten gibt als immer wieder „höher, schneller, weiter“. Sie läuten vielmehr eine neue Phase ein, in der insbesondere der Blick unter die Oberfläche des Marktes spannende Erkenntnisse über die strukturellen Veränderungen der vergangenen und vor uns liegenden Jahre offenlegen wird.

Autor: Franziska Biehl