Wachstum der unerfreulicheren Sorte

Chart of the Week

3 min Lesedauer 01.11.2024

Eine Überraschung hielt das Statistische Bundesamt in dieser Woche mit der Veröffentlichung der Schnellschätzung zum Bruttoinlandsprodukt im dritten Quartal 2024 bereit. Denn obwohl es als ausgemacht galt, dass sich die deutsche Wirtschaft auf absehbare Zeit nur zwischen Stagnation und leichter Schrumpfung bewegen würde, berichteten die Statistiker aus Wiesbaden von einem BIP-Wachstum in Höhe von 0,2 Prozent im Vergleich zum zweiten Quartal. Eine gute Nachricht, sollte man meinen.

Oder?

Nun, das wäre sie, wenn dieses Wachstum tatsächlich auf ein überraschend starkes drittes Quartal zurückzuführen wäre. Unser Chart der Woche zeigt, warum dieses Wachstum eher ein Ausweis der Schwäche als einer der Stärke ist. Der berechnete Wert von 0,2 Prozent basiert nämlich darauf, dass das zweite Quartal schwächer ausgefallen ist als zunächst angenommen.

Bei der Schnellschätzung zum zweiten Quartal Ende Juli (und auch bei der detaillierteren Datenveröffentlichung einen Monat später) war man zunächst von einem Rückgang der wirtschaftlichen Aktivität von knapp 0,1 Prozent im Vergleich zum ersten Quartal ausgegangen. Von diesem Level aus hätte das nun für das dritte Quartal geschätzte BIP einen minimalen Rückgang bedeutet, der nach der üblichen Rundung auf eine Nachkommastelle als Stagnation ausgewiesen worden wäre.

Bruttoinlandsprodukt im Jahresverlauf

(Preis-, saison- und kalenderbereinigt, Kettenindex 2020 = 100)

Der Chart zeigt die Entwicklung des BIP über die bisherigen drei Quartale 2024; für das zweite Quartal wird dabei einmal der Wert aus der ursprünglichen Schnellschätzung verwendet, einmal der revidierte Wert.
Quelle: Statistisches Bundesamt

Doch bei der Revision der Daten musste der Wert für das BIP des zweiten Quartals nach unten korrigiert werden – es stellte sich heraus, dass die deutsche Wirtschaft nicht um 0,1 Prozent, sondern um 0,3 Prozent geschrumpft war. Und von diesem niedrigeren Niveau aus bedeutet ein und derselbe Wert für das dritte Quartal nun keine Stagnation mehr, sondern ein Wachstum in Höhe der besagten 0,2 Prozent. Wir alle wünschen uns ja dringend wieder etwas Wachstum. Dieses Rechenbeispiel zeigt, dass man manchmal vorsichtig sein sollte, was man sich wünscht – oder zumindest, wie man seine Wünsche formuliert.

Nicht zuletzt ist bemerkenswert, dass sich auch im preisbereinigten Vergleich zum Vorjahresquartal, also dem 3. Quartal 2023, ein Wachstum von 0,2 Prozent ergibt – welches allerdings nach der Kalenderbereinigung sein Vorzeichen wechselt. Denn im 3. Quartal dieses Jahres stand genau ein Arbeitstag mehr für die Erwirtschaftung des BIP zur Verfügung als im entsprechenden Zeitraum des Vorjahres. Um diesen Kalendereffekt bereinigt wird aus einem Wachstum von 0,2 Prozent ein Rückgang in gleicher Höhe (mehr zum Thema Kalenderbereinigung finden sie in diesem früheren Chart der Woche). „What a Diff’rence a Day Makes“ war der Titel des Songs, mit dem Dinah Washington 1959 einen Grammy Award gewann. In der Tat, kann man da nur sagen.

Autor: Sebastian Franke