Unter dem Strich steht dieses Jahr wieder ein Plus

Chart of the Week

4 min Lesedauer 15.11.2024

Mit einem recht deutlichen Anstieg meldete sich im Oktober die schon besiegt geglaubte Inflation zurück. Zusammen mit dem so nicht erwarteten Wirtschaftswachstum im dritten Quartal erschien der Versuch der Europäischen Zentralbank, mit ihrer Zinssenkung „ahead of the curve“ zu sein, plötzlich etwas voreilig. Vor allem die geldpolitischen „Falken“ in der EZB schauen mit Sorge unter anderem auf die Lohnentwicklung. Denn sie befürchten das Einsetzen einer Lohn-Preis-Spirale, während die Arbeitnehmer versuchen, in den Lohnverhandlungen ihre Kaufkraftverluste der letzten Jahre – zunächst durch die Einbußen während der Corona-Pandemie, dann durch die Inflation, die selbst deutliche Lohnerhöhungen auffraß – wieder wettzumachen.

Und tatsächlich wendete sich das Blatt für die Lohnempfänger erst mit dem Nachlassen der Preissteigerungen, wie unser Chart der Woche zeigt. Hatte noch im Januar 2023 eine nominale Lohnsteigerung von über 8 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat nicht ausgereicht, um auch inflationsbereinigt mehr Geld in der Tasche zu haben, so sorgte dann im Juni ein annähernd gleicher nominaler Anstieg für ein reales Plus von fast 2 Prozent. Seitdem lässt auch das Wachstum der Nominallöhne wieder nach – aber weil sich die Inflation noch stärker verlangsamt hat, bleibt immer mehr davon bei den Verbrauchern hängen und stärkt ihre Kaufkraft.

Angesichts des immer wieder berichteten Fachkräftemangels und einer Rekordzahl offener Stellen sollte es aber doch möglich gewesen sein, durch einen Jobwechsel mehr für sich rauszuschlagen – oder? Dass es so einfach wohl doch nicht war, zeigt ein Blick auf den Indeed Wage Tracker. Dieser Index der gleichnamigen Online-Jobbörse fasst die gebotenen Gehälter der dort inserierten Stellen zusammen. Im Januar 2023 lagen die Gehaltsangebote um auf den ersten Blick satte 7 Prozent höher als zu Beginn des Vorjahres – doch angesichts einer Inflation von damals immer noch fast 9 Prozent bedeutete das, dass Arbeitskräfte für real deutlich weniger Geld gesucht wurden als ein Jahr zuvor. So dringend kann der Fachkräftemangel also nicht gewesen sein, möchte man fast meinen.

Ab März 2023 verlangsamte sich der Anstieg des Index annähernd im Gleichschritt mit den Verbraucherpreisen und pendelte sich ab November zwischen drei und vier Prozent ein. Bei einer sich im Jahresverlauf 2024 auf um die 2 Prozent verlangsamenden Inflation liegen die Gehaltsangebote nun auch real über denen des Vorjahres.

Von den Lohnsteigerungen bleibt wieder etwas übrig

Inflation und Löhne, Veränderung gegenüber dem Vorjahresmonat in Prozent

Der Chart zeigt die Entwicklung von Inflation, Real- und Nominallöhnen sowie des "Indeed Wage Tracker" seit Anfang 2023.
Quelle: Statistisches Bundesamt, Indeed Hiring Lab, eigene Berechnungen

Das vom Statistischen Bundesamt berichtete Reallohnwachstum in Deutschland betrug in den ersten beiden Quartalen des Jahres 3,8 und 3,1 Prozent gegenüber den entsprechenden Vorjahresquartalen. Die bislang vorliegenden Zahlen lassen einen Wert in ähnlicher Größenordnung für das dritte Quartal erwarten. Die Chancen stehen also gut, dass wir für das Gesamtjahr 2024 zumindest eine 2 vor dem Komma sehen werden – das war zuletzt im Jahr 2015 der Fall.

Aber selbst eine 3 oder gar eine 4 an dieser Stelle würden den Reallohnverlust gegenüber dem Vor-Corona-Jahr 2019 noch nicht wieder wettmachen. Rund 5 Prozent betrug der Kaufkraftverlust über die vergangenen vier Jahre. Angesichts dieses immer noch bestehenden Nachholbedarfs bleibt abzuwarten, ob in kommenden Tarifverhandlungen die Sicherung von Arbeitsplätzen tatsächlich wieder höheres Gewicht als Lohnsteigerungen bekommt. Den aktuellen Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie kann man aber sicherlich als einen ersten Schritt in diese Richtung interpretieren – statt der ursprünglich geforderten 7 Prozent bei 1-jähriger Laufzeit einigte man sich auf 5,1 Prozent in zwei Schritten bei einer Laufzeit von über zwei Jahren.

Autor: Sebastian Franke