Zweimal zwei Jahre

Chart of the Week

3 min Lesedauer 17.01.2025

Die frühen 2000er Jahre waren aus ökonomischer Sicht eine schwierige Zeit für Deutschland. Der Schwung der ersten Jahre nach der Wiedervereinigung war abgeebbt, doch die Belastungen aus diesem politischen Mammutprojekt wirkten noch nach. Die Einführung des Euro lag erst wenige Jahre zurück und hatte ihre Vorteile für die deutsche Wettbewerbsfähigkeit noch nicht voll entfalten können. Und die EU-Osterweiterung, von deren neuen Absatzmärkten und günstigen Produktionsstandorten für Vorprodukte Deutschland in besonderem Maße würde profitieren können, war noch im Entstehen begriffen.

Auch wenn man sich nicht in einer schweren Krise mit Masseninsolvenzen und -entlassungen befand, schwächelte die Beschäftigung. Ein wenig flexibler Arbeitsmarkt war eines der strukturellen Probleme, die für ein schwaches Wachstumsumfeld sorgten und Deutschland den wenig schmeichelhaften Beinamen „Kranker Mann Europas“ einbrachten. Alles in allem also eine Zeit, an die deutsche Ökonomen nicht gerade mit Begeisterung zurückdenken. Warum wir es an dieser Stelle dennoch tun? Das zeigt unser Chart der Woche. Denn genau in diese Phase fiel das letzte Mal, dass die deutsche Wirtschaft in zwei aufeinanderfolgenden Jahren schrumpfte – was sie nun erneut getan hat.

Das Statistische Bundesamt veröffentlichte in dieser Woche eine erste Schnellschätzung zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2024. Diese Schätzung kommt zwar noch ohne harte Messdaten für den Monat Dezember aus. Doch wenn sich im vergangenen Monat kein von allen Ökonomen unbemerkt gebliebenes Wunder eingestellt haben sollte, ist das deutsche BIP nach 2023 auch im Jahre 2024 zurückgegangen. Zwei Jahre in Folge mit negativem Wirtschaftswachstum hatte es zuletzt in den Jahren 2002 und 2003 gegeben.

Generelle Schwächephase oder dramatischer Einbruch?

Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in Prozent im Vergleich zum Vorjahr, preisbereinigt

Jährliches deutsches Wirtschaftswachstum seit 1992
Quelle: Statistisches Bundesamt

Der Blick auf die Statistik zeigt auch: Um einen dramatischen Einbruch der wirtschaftlichen Aktivität handelte es sich in beiden Fällen nicht. -0,2 und -0,5 Prozent waren es 2002/03 gewesen, -0,3 und -0,2 waren es 2023/24. Der BIP-Rückgang im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise der späten 2000er Jahre oder zu Beginn der Corona-Pandemie war bedeutend größer. Aber bereits beim Blick auf Quartalswerte hatten wir festgestellt, dass eine „technische Rezession“, also zwei aufeinanderfolgende Vierteljahre mit negativem Wachstum, meistens Ausdruck eines generell schwachen wirtschaftlichen Umfelds ist, in dem es eben gerade keine plötzliche, schwere Krise braucht, um das BIP-Wachstum ab und zu unter die Nulllinie zu drücken.

Das scheint sich auch im großen Maßstab zu bewahrheiten. Auf die schweren Einbrüche 2009 und 2020 folgte jeweils eine kräftige Erholung. Demgegenüber passten sich die Jahre 2002/03 in eine mehrjährige Phase eher schwachen Wachstums ein. Und auch jetzt drücken sich in zwei aufeinanderfolgen Jahren mit einem Minus vor dem BIP-Wachstum nicht nur akute Herausforderungen wie der Krieg in der Ukraine oder restriktive Finanzierungsbedingungen im Zuge der Inflationsbekämpfung durch die Europäische Zentralbank aus.

Vielmehr sorgen auch derzeit strukturelle Probleme dafür, dass von Deutschland wieder als „Krankem Mann“ gesprochen wird. Zum notwendigen Umbau einer Wirtschaft, die sich auf billige Energie und leichten Zugang zu Exportmärkten gestützt hatte, gesellen sich langjährige Investitionsschwäche, abnehmende Wettbewerbsfähigkeit und demografische Herausforderungen. Wie auch immer nach der bevorstehenden Bundestagswahl die Regierung aussehen wird – um ihren Job ist sie wohl nicht zu beneiden.

Autor: Sebastian Franke