Fachkräftemigration als Stütze für den deutschen Arbeitsmarkt

Chart of the Week

4 min Lesedauer 24.01.2025

Der Arbeitsmarkt wird 2025 eines der Top-Themen sein. Nachdem er uns jahrelang den starken Mann vorgespielt hat, zeigt er so langsam sein wahres, von strukturellen Schwachstellen gezeichnetes Gesicht. Und was man auf den ersten Blick nicht sieht, holen wir schon noch an die Oberfläche. So zum Beispiel die Tatsache, dass der deutsche Arbeitsmarkt ohne Fachkräftemigration bereits jetzt auf deutlich wackligeren Beinen stehen würde.

Dem deutschen Arbeitsmarkt schwinden dank des demographischen Wandels zusehends die Fachkräfte. Die geburtenstarken Jahrgänge, die sogenannten Babyboomer, scheiden nämlich nach und nach aus dem Arbeitsmarkt aus. Dem deutschen Arbeitsmarkt werden allein deswegen in den vor uns liegenden Jahren rund ein Viertel aller im zweiten Quartal 2024 sozialversicherungspflichtig Beschäftigter verloren gehen. Zeitgleich wächst die Bevölkerung nicht stark genug, um die Lücke am Arbeitsmarkt zu füllen. Bereits jetzt zeigen sich die ersten Spuren des deutschen demographischen Problems. Zwischen dem vierten Quartal 2019 und dem zweiten Quartal 2024 ist die Anzahl deutscher sozialversicherungspflichtig Beschäftigter um 250.000 geschrumpft. Der Beschäftigungsrückgang unter den Deutschen lässt sich vollständig durch einen Rückgang der unter 55-jährigen Arbeitnehmer um rund 1,3 Millionen erklären. Die Anzahl der Beschäftigten, die älter als 55 sind, hat hingegen im gleichen Zeitraum um knapp 1 Million zugelegt. Mit Blick auf die Zukunft wird sich das strukturelle Problem am Arbeitsmarkt nur verstärken. Und in Anbetracht der Tatsache, dass Kollege Roboter in Deutschland noch nicht flächendeckend beschäftigt wird, ist die Lösung des Problems eigentlich auch ganz einfach. Was den Arbeitsmarkt betrifft, muss über die Landesgrenzen hinausgedacht werden.

Unser Chart of the Week zeigt, dass dies in einigen Bereichen bereits passiert. Was erklärt, warum die Anzahl an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zwischen dem vierten Quartal 2019 und dem zweiten Quartal 2024 trotz des Rückgangs der Anzahl an deutschen Beschäftigten um 1,1 Millionen gestiegen ist. Unterstützung aus dem Ausland sei Dank.

Beschäftigungsanteil Arbeitnehmer mit deutscher bzw. anderer Staatsbürgerschaft in 2Q 2024

(sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, %)

Der Chart zeigt den Beschäftigungsanteil von Arbeitnehmern mit deutscher bzw. anderer Staatsbürgerschaft in 2Q 2024
Quelle: Bundesagentur für Arbeit; ING-Berechnungen

Ohne diese sähe es insbesondere im Gastgewerbe bereits jetzt mau aus. Im zweiten Quartal 2024 lag der Beschäftigungsanteil derer, die eine andere Staatsbürgerschaft als die deutsche besitzen, bei 42 Prozent. Mit rund einem Viertel aller Beschäftigten, die eine ausländische Staatsbürgerschaft besitzen, folgen die Bereiche Verkehr und Lagerei, die Land- und Forstwirtschaft sowie die sonstigen Dienstleistungen und der Bausektor. In viele dieser Bereiche fallen Berufsgruppen, die die Bundesagentur für Arbeit als Engpassberufe einstuft. So zum Beispiel die Hotellerie und die Gastronomie, die Landwirtschaft oder der Hoch- und Tiefbau. In all diesen Bereichen ist es schwierig, offene Stellen zu besetzen, und der Fachkräftemangel belastet die Aktivität. Ohne Unterstützung aus dem Ausland hätte die Beschäftigung in Deutschland zuletzt um knapp 5,5 Millionen Personen unterhalb des tatsächlich beobachteten Niveaus gelegen. Das entspricht 16 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Die Lage am Arbeitsmarkt wäre also noch deutlich angespannter, insbesondere in jenen Berufen, in denen der Fachkräftemangel ohnehin bereits hoch ist oder in denen er sich in den kommenden Jahren aufgrund des demographischen Wandels verschärfen wird.

Fachkräftemangel kann nicht nur fruchtbarer Nährboden für große Verhandlungsmacht auf Arbeitnehmerseite, entsprechend starkes Lohnwachstum und möglicherweise Zweitrundeneffekte auf die Inflation sein, sondern belastet auch die wirtschaftliche Aktivität. Ungünstig insbesondere zu Zeiten, in denen es darum geht, um sich aus einer Stagnationsspirale zu befreien. Im zweiten Quartal 2024 lag die Bruttowertschöpfung eines jeden einzelnen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten bei durchschnittlich rund 27.500 Euro. Ohne internationale Unterstützung hätte die Bruttowertschöpfung in Deutschland in diesem Zeitraum um rund 150 Mrd. Euro niedriger gelegen.

Nicht nur der Arbeitsmarkt würde also ohne das Hinausdenken über die Landesgrenze bereits auf deutlich wackligeren Beinen stehen, auch die deutsche Wirtschaft würde zusätzlich belastet werden. Dementsprechend ist Deutschland auf Unterstützung aus dem Ausland angewiesen – und in Zukunft wird sich der Bedarf noch verstärken. Auch wenn es so aussieht, als hätte sich der Fachkräftemangel angesichts der angespannten zyklischen Lage ein wenig entspannt – der Schein täuscht. Strukturell ist er nach wie vor ein großes Problem und ohne die Förderung von Fachkräftemigration wird sich dieses Problem schnell multiplizieren.

Autor: Franziska Biehl