Mysterium oder Machtdemonstration – Wie real sind Bond Vigilantes?

Chart of the Week

5 min Lesedauer 17.04.2025

Was wäre, wenn es eine Gruppe von Finanzmarktteilnehmern gäbe, die es sich zur Aufgabe gemacht hätte, inflationärer oder unverantwortlicher Fiskalpolitik einen Riegel vorzuschieben? Der entsprechenden Regierung unmissverständlich zu verstehen zu geben, dass es Zeit für einen Richtungswechsel ist? Weiße Ritter der Fiskaldisziplin sozusagen. Möglicherweise reiten diese weißen Ritter tatsächlich schon lange auf den Zinskurven dieser Welt und haben kürzlich erneut heftig die Peitsche geschwungen. Möglicherweise ist das aber auch nur ein Märchen.

Narrative und Mysterien gibt es nicht nur in der Märchenwelt, sondern auch an den Finanzmärkten. Das Narrativ von Gold als sichere Geldanlage beispielsweise – oder das Mysterium rund um die sogenannten „Bond Vigilantes“, eine Art Anleihen-Bürgerwehr. Dieser Gruppe von Finanzmarktteilnehmern sagt man nach, in großem Stil Staatsanleihen zu verkaufen, wenn der fiskal- oder geldpolitische Kurs eines Landes als inflationär oder unverantwortlich angesehen wird. Dabei muss es sich nicht um reaktionäre Kräfte handeln, sondern einfach nur um Investoren, die sich angesichts steigender Inflationsrisiken und Staatsverschuldung Sorgen um ihre Anlagen machen. In Reaktion auf den Abverkauf am Staatsanleihemarkt fallen die Preise für diese Anleihen und ihre Renditen steigen. Für die entsprechende Regierung wird es somit deutlich teurer neue Schulden aufzunehmen. Seinen Anfang nahm das Mysterium über die Bond Vigilantes in den 1980er Jahren. Damals prägte der Ökonom Ed Yardeni den Begriff, als er Investoren beschrieb, die seiner Meinung nach im großen Stil Staatsanleihen verkauften, um gegen die für zu inflationär gehaltene Geldpolitik der Fed zu protestieren oder einfach ihr Geld in Sicherheit bringen wollten.

Seitdem gab es verschiedene Situationen, in denen den Bond Vigilantes nachgesagt wurde, für Ordnung gesorgt zu haben. Zwischen 1993 und 1994 beispielsweise stieg die Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihe in Reaktion auf die ausgabenfreudige Fiskalpolitik bzw. den Vorschlag zum Gesundheitsreformpaket „Hillarycare“ der Clinton-Regierung von 5 Prozent auf 8 Prozent an. Nachdem Präsident Clinton die Pläne zur Gesundheitsreform fallen gelassen und einen konservativeren fiskalpolitischen Kurs eingeschlagen hatte, fielen die Renditen wieder. Doch unser Chart of the Week zeigt, dass wir für den jüngsten Feldzug der weißen Ritter der Fiskaldisziplin gar nicht so weit in die Vergangenheit schauen müssen. Ein Blick auf die Entwicklungen der vergangenen Wochen reicht völlig.

Rendite der US-amerikanischen 10-jährigen Staatsanleihe

(%, stündlich, Mitteleuropäische Zeit)

Der Chart zeigt die Rendite der US-amerikanischen 10-jährigen Staatsanleihe in %, stündlich und zu mitteleuropäischer Zeit
Quelle: Bloomberg; ING

Am 02. April, am „Liberation Day“, verkündete US-Präsident Trump universelle Importzölle in Höhe von 10 Prozent, die am 05. April in Kraft traten, sowie für bestimmte Länder sogenannte „Vergeltungszölle“, die am 09. April in Kraft getreten sind. In Reaktion auf die Eskalation im Handelskrieg stiegen die Rezessionsängste und an den globalen Aktienmärkten gab es einen starken Abverkauf. Zeitgleich flüchteten sich Anleger aus dem „Risiko“ in sogenannte „sichere Häfen“. Die Nachfrage nach Staatsanleihen stieg, und damit ihr Preis, und die Renditen gingen zurück.

Nach einem gewissen zollpolitischen Kräftemessen zwischen den USA und China gab es am Markt dann allerdings eine in gewisser Weise kontraintuitive Wendung. Zwar ging der Abverkauf am Aktienmarkt weiter, die Rezessionssorgen wogen also noch immer schwer auf der Stimmung am Kapitalmarkt, doch zeitgleich mischte sich ein Abverkauf am Staatsanleihemarkt dazu. Es ging nicht mehr nur darum das Risiko zu verkaufen, sondern vielmehr machte sich eine „sell America“-Stimmung breit. Während die Rendite der US-amerikanischen 10-jährigen Staatsanleihe am Morgen des 07. April noch bei unter 4 Prozent lag, erreichte sie am Mittwoch, dem 09. April, Werte von rund 4,5 Prozent. Innerhalb von nur zwei Tagen war es für die USA deutlich teurer geworden, neue Schulden aufzunehmen, und sogar Spekulationen über eine Notintervention der Fed machten die Runde.

Am Abend des 09. April verkündete Präsident Trump dann allerdings, dass die gerade erst in Kraft getretenen „reziproken“ Zölle für 90 Tage ausgesetzt werden sollten. Jedenfalls für jene Länder, die auf diese keine Vergeltungsmaßnahmen ergriffen hatten, was alle Länder außer China waren. Die Leute seien ein wenig „aufgeregt“, ein wenig „ängstlich“ geworden. Sprich: der Grund für Trumps zollpolitischen Umschwung dürften die Bewegungen am Staatsanleihemarkt gewesen sein. Ob das die Arbeit der sogenannten Bond Vigilantes war? Schwer zu sagen. Sicherlich, es würde zur Mission passen – denn Trumps Zollpläne sind für die USA vor allem eines: inflationär. Dass ein eskalierender Handelskrieg also die weißen Ritter der Fiskaldisziplin auf den Plan ruft, passt.

Trotz des kurzfristigen Ausverkaufs scheint es ein echtes Umdenken im Weißen Haus bisher noch nicht zu geben. Weiterhin gilt ein universeller Zoll in Höhe von 10 Prozent auf alle Importe in die USA sowie sektorale Zölle auf Stahl und Aluminium bzw. auf Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeugteile. Und da es bereits in der Vergangenheit häufiger ein Hin und Her in der Zollpolitik gab, ist die Unsicherheit anhaltend groß.

Nicht nur für die transatlantische Beziehung, auch für das Marktvertrauen scheint der Schaden für den Moment daher erstmal angerichtet zu sein. Wie es weitergeht, weiß aktuell niemand. Mehr Entspannung oder neue Eskalation. Beides ist möglich. Die Bond Vigilantes werden es weiter gut beobachten.

Autor: Franziska Biehl