Das „One Piece“ der Schifffahrt

Chart of the Week

4 min Lesedauer 22.09.2023

Das „One Piece“ zu finden, den legendären Piratenschatz, ist der Traum zahlreicher Figuren des gleichnamigen Manga-Hits und neuerdings auch der Realserie „One Piece“ eines bekannten Streaming-Anbieters. Was das „One Piece“ sein könnte? Das ist auch nach dem 26-jährigen Bestehen der fiktiven Reihe nicht geklärt. In der Realwelt ist das „One Piece“ dagegen unschwer zu identifizieren: Wasser. Denn in unserer Welt käme die Reise von Monkey D. Ruffy und seiner Crew immer wieder auf Rhein, Yangtse oder Mississippi zum Stillstand.

Mit dem Panamakanal ist eine der wichtigsten internationalen Handelsrouten von Dürre betroffen 

Und nun ist seit einigen Wochen auch eine der wichtigsten internationalen Wasserstraßen getroffen: der Panamakanal, durch den jährlich ca. drei Prozent des Welthandels geschleust werden. Aufgrund von anhaltender Dürre ist der Kanal nur noch mit reduziertem Schiffsgewicht und eingeschränkter zulässiger Schiffsanzahl befahrbar. Der 80 Kilometer lange künstlich angelegte Kanal verbindet Nord- und Südamerika und ist die wichtigste Handelsroute für den Warenverkehr zwischen Asien und der Ostküste der USA. Da der Kanal als Schleusensystem konzipiert ist, benötigt jedes Schiff, das den Kanal passiert, ca. 200 Millionen Liter Frischwasser, was in etwa der Füllung von 1,3 Millionen Badewannen oder dem Jahreswasserverbrauch von ca. 4.500 Personen in Deutschland entspricht. Ausbleibender Niederschlag führt zum Sinken des Wasserspiegels im Kanal und des zum Kanal zugehörigen Gatun-Sees, wie unser Chart der Woche zeigt. Verglichen mit dem durchschnittlichen Wasserstand der letzten fünf Jahre zeigt sich besonders deutlich, warum der aktuelle Wasserstand ein Problem für die Schifffahrt darstellt.

Der Gatun-See in Panama trocknet aus

Der Chart zeigt das Wasserlevel im Gatun-See in Panama im Jahr 2023 und im Durchschnitt der letzten fünf Jahre
Quelle: Canal de Panama, ING Economic & Financial Analysis

Wasserstände als Wirtschaftsindikator

Temporär auftretende Niedrigwasserstände in Flüssen und Seen sind nicht neu, mitunter ausgelöst durch bekannte und wiederkehrende Wetterphänomene wie El Niño. Doch in den letzten Jahren hat die Häufigkeit schlagzeilenträchtiger und geschäftsschädigender Niedrigwasserstände zugenommen. In Deutschland sollte spätestens seit 2018 die Beobachtung des Wasserstandes am Rhein zum Standard-Indikator für deutsche Industriezweige gehören, in den USA wird die Beobachtung wichtiger Messpunkte entlang des Mississippi immer relevanter zur Planung der Geschäftsaktivitäten.

Wer ist besonders betroffen?

Gesamtwirtschaftlich gesehen sind die Auswirkungen insgesamt (noch) klein, aber dennoch sichtbar. Laut IfW dürfte das Niedrigwasser 2018 allein in Deutschland etwa 0,4 Prozent an Wirtschaftsleistung gekostet haben. Insgesamt nahm die Güterbeförderung der Binnenschifffahrt 2018 laut Statistischem Bundesamt um 11,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr ab. Das Niedrigwasser im Mississippi in den USA hat letztes Jahr aufgrund der daraus resultierenden Produktionsverlangsamung für einen geschätzten wirtschaftlichen Aktivitätsverlust in Höhe von 20 Milliarden Dollar gesorgt. Und einzelne Industriezweige werden besonders hart getroffen: die chemische Industrie, die Landwirtschaft, aber auch Industriezweige, die Kohle oder Stahl zur Weiterverarbeitung benötigen. Probleme auf Wasserstraßen wiederum können den internationalen Transport und damit jegliche Industriezweige erheblich beeinträchtigen, werden doch nach wie vor über 80 Prozent des weltweiten Handels auf dem Seeweg abgewickelt. Allein die Betreiber des Panamakanals erwarten aufgrund der Einschränkungen im Schiffsverkehr einen Gewinnrückgang von 200 Millionen US-Dollar, was ungefähr 4,5 Prozent des Umsatzes vom letzten Jahr entspräche. Und dieser Umsatzrückgang trifft auch das Land Panama direkt, trägt der Panamakanal doch 4,5 Prozent zum BIP des Landes bei, was eine Minderung des BIP um 0,3 Prozent bedeutet.

Gibt es Alternativen?

Für Vorleistungsgüter und Rohstoffe, darunter Massengüter wie Kohle und Stahl, Gefahr- und Schwergut, gibt es aufgrund ihres Gewichts und Umfangs aktuell keine dauerhaft nachhaltige Alternative zum Schiff. Auf Straße oder Schiene auszuweichen, ist daher lediglich eine Notlösung. Das Umrüsten der Schiffflotte auf Flachbodenboote kann helfen, da bei niedrigem Wasserstand herkömmliche Binnenschiffe zwar oftmals noch fahren können, aber nur geringere Mengen als üblich zugeladen werden dürfen.

In Bezug auf Meerengen und Kanäle könnten diese zwar prinzipiell ebenfalls umgangen werden, doch eine wirkliche Alternative stellen die Umfahrungen oftmals aufgrund von Strömung, Winden oder einfach der extrem verlängerten Fahrzeit nicht dar. Aufgrund des Baus des Panamakanals konnte die Reisezeit auf See zwischen New York und San Francisco beispielsweise um etwa die Hälfte reduziert werden. Ob Alternativroute oder nicht: die Dauer für den Transport steigt, denn Wartezeiten oder Umfahrungen verursachen Kosten – die sich letztlich in Preisaufschlägen zeigen können.

Die Lösung?

Investitionen in die Infrastruktur. Der Erhalt, aber vor allem auch die Stärkung der Widerstandsfähigkeit gegen zunehmende Wetterereignisse ist entscheidend, damit Waren auch in Zukunft sicher, schnell und kostengünstig über die Weltmeere und Flüsse gebracht werden können. Ist das „One Piece“ am Ende also doch ein Goldschatz und gar nicht Wasser?

Autor: Inga Fechner