Wie viel Spielraum hat die Geldpolitik noch?

Chart of the Week | 19.07.2019

3 min Lesedauer 19.07.2019

Ursula von der Leyen ist mit einer knappen Mehrheit zur neuen EU-Kommissionspräsidentin gewählt worden. Damit steht auch Christine Lagarde als neue EZB-Präsidentin fest. Zwar wird das EU-Parlament hier sowieso nur konsultiert und hat kein Stimmrecht, der Europäische Rat entscheidet über diese Personalie. Doch wäre der Posten der EU-Kommissionspräsidentin gefallen, dann wäre das geschnürte Personalpaket ebenfalls ins Wanken gekommen. Kommt mit Lagarde jetzt also die große Wende in der Geldpolitik? 

 

Um die Spannung hier gleich einmal vorweg zu nehmen: Nein, wohl eher wird es eine Fortführung des derzeitigen geldpolitischen Kurses geben. Denn etwas anderes lassen die Inflationserwartungen und das Preisstabilitätsmandat der EZB eigentlich auch nicht zu. Bevor Lagarde ihr Amt am 1. November 2019 aufnehmen wird, hat der derzeitige EZB-Präsident Mario Draghi sowieso noch drei Gelegenheiten, die Richtung der EZB für die nächsten Monate vorzugeben. Bei mindestens einem dieser Treffen dürfte es denn auch noch mal eine ordentliche Portion lockere Geldpolitik geben. Bereits nächste Woche, spätestens aber im September, könnte der Zinssatz der Einlagefazilität – eine Möglichkeit für Banken, kurzfristig nicht benötigtes Geld bei der EZB zu parken – der derzeit -0,4% beträgt, noch weiter gesenkt werden. Auch ein Neustart des Anleihekaufprogramms ist denkbar. 

Kredite an den Unternehmenssektor und private Haushalte (%-Veränderung ggü. dem Vorjahr)

Kredite an den Unternehmenssektor und private Haushalte

Dass dadurch die Kreditvergabe jedoch noch zusätzlich angeheizt werden wird, ist fraglich, wie unser Chart der Woche zeigt. Denn die Kreditvergabe an den Unternehmenssektor ist seit der Finanz- und Wirtschaftskrise wieder deutlich gestiegen. Die Wachstumsrate in der Eurozone beträgt im Vergleich zum Vorjahr fast 4 Prozent und in Deutschland sogar fast 7 Prozent. Auch die Kreditvergabe an den privaten Sektor kann sich mit einer Wachstumsrate von 3,3 Prozent in der Eurozone und 4,1 Prozent in Deutschland sehen lassen. 

 

In diesen Daten spiegeln sich durchaus die seit Juni 2014 eingeführten geldpolitischen  Maßnahmen in Form von günstigen Kreditkonditionen an Unternehmen und Haushalte wieder. Nur ob es angesichts der derzeitigen Konjunktureintrübung mit erneuten geldpolitischen Lockerungsmaßnahmen wirklich noch Potential nach oben gibt? Mario Draghi hat auf den Pressekonferenzen rund um die geldpolitischen Entscheidungen immer wieder die Wichtigkeit der Durchführung von Strukturreformen und eine stärkere Rolle der Fiskalpolitik betont. Sonst würden die geldpolitischen Maßnahmen auch nicht ihre volle Wirkung entfalten. Insofern dürften die (erneuten) EZB-Maßnahmen auch weiterhin unterstützend wirken, doch zusätzliche positive Effekte werden immer geringer.

 

Dieser Kampf um zusätzliche fiskalpolitische Impulse wird auch Christine Lagarde bevorstehen. Vielleicht ist ihr Hintergrund der fehlende Schlüssel zur fiskalischen Unterstützung.

 

Mehr zu den geldpolitischen Entscheidungen der Zentralbanken gibt es von unserem Chefvolkswirt und EZB-Watcher Carsten Brzeski: Wissen EZB und Fed immer noch, was sie tun oder sehen wir gerade reinen Aktionismus?

Autor: Inga Fechner