Die Augen weit geschlossen
Was die deutsche Konjunktur von der Bundesliga lernen sollte
Beim Fußball gibt es eigentlich jedes Jahr mindestens ein Team, dass mit hohen Erwartungen in die neue Saison geht, im Laufe des Jahres aber an das Tabellenende durchgereicht wird. Dabei wird die sportliche Krise häufig zu lange abgestritten, schlechte Ergebnisse schöngeredet oder zu lange am Altbewährten festgehalten; bis es dann zu spät ist und der Negativtrend nicht mehr gedreht werden kann. Die Liste der unerwarteten Absteiger am Ende einer Bundesligasaison, die mit offenen Augen aber Ignoranz ihrem sportlichen Schicksal entgegen glitten, ist lang. Man kann es auch das Symptom der weit geschlossenen Augen nennen. Die deutsche Wirtschaft läuft gerade Gefahr, Opfer genau dieses gleichen Symptoms zu werden.
Die aktuellen konjunkturellen Widersprüche in Europa waren am Tag des letzten EZB-Treffens zu bestaunen. Während EZB-Präsident Mario Draghi die Finanzmärkte auf ein neues geldpolitisches Feuerwerk im September vorbereitete, gab zeitgleich Bundesfinanzminister Olaf Scholz dem Nachrichtensender Bloomberg ein Interview, in dem er weder eine wirtschaftliche Krise noch die Notwendigkeit für Konjunkturpakete sah. Schiebt Mario Draghi nur Panik oder sieht er etwas, was Olaf Scholz nicht sieht?
Lange sah es so aus, als ob die inländische Konjunktur stark genug ist, um die deutsche Wirtschaft vor Handelskriegen und Problemen in der Industrie zu schützen bzw die negativen Folgen einigermaßen aufzufangen. Diese Sichtweise wird zunehmend problematisch. Der Abschwung in der Industrie nimmt kein Ende und aus einmaligen Faktoren wie neuen Abgasnormen oder Niedrigwasser scheint sich eine strukturelle Schwäche zu entwickeln. Hinzu kommt, dass sich der Arbeitsmarkt abkühlt, Unternehmen mit Gewinnwarnungen kommen, Kurzarbeit wieder eingeführt wird und der Konsum schwächelt. Ja, es sind nur erste Zeichen und absolut betrachtet liegt z.B. die Kurzarbeit meilenweit unter dem Niveau der 2009 Rezession. Es wäre allerdings fatal, die aktuellen Warnsignale zu unterschätzen.
Natürlich kann es immer noch ein Happy End geben, wenn sich die Handelskonflikte entspannen und deutsche Unternehmen trotz globaler Unsicherheiten die extrem günstigen Finanzierungsbedingen nutzen und investieren. Das Prinzip Hoffnung reicht aber nicht. Bei den aktuellen Zinsständen könnte der deutsche Staat in den kommenden Jahren Haushaltsdefizite von rund 1,5% BIP fahren und die Schuldenquote würde sich immer noch bei 60% des BIP stabilisieren.
Anders als zum Beginn der großen Rezession 2008/2009 hilft aktuell allerdings kein typisch Keynesianisches Konjunkturpaket. Damals waren staatliche Maßnahmen wie Bankenrettungen, Abwrackprämie und Kurzarbeit erfolgreich, weil sich vor der Finanzkrise in Deutschland keine gravierenden strukturellen Probleme angehäuft hatten. Die Wirtschaft benötigte nur eine Anschubhilfe, um die Negativspirale zu unterbrechen. Das wird dieses Mal nicht reichen. Ein kurzfristig orientiertes Konjunkturprogramm würde schnell verpuffen. Besser und hilfreicher wäre ein Investitionsprogramm, das auf eine langfristige Stärkung und Veränderung der deutschen Wirtschaft abzielt. Die Schlagwörter sind bekannt: Digitalisierung, Klimaschutz, Energiewende, Infrastruktur und Bildung.
Also, investieren und zwar richtig. Mario Draghi würde sich ganz nebenbei auch freuen, da er dann nicht mehr der einzige Feuerwehrmann der Eurozone wäre. Die deutsche Wirtschaft braucht nun wirklich nicht eine Saison in der zweiten Liga, um sich mal grundlegend zu erneuern. Vorsorge ist definitiv besser als Nachsorge. Olaf Scholz muss sich nur mal mit den Fußballfreunden in Hamburg und Stuttgart unterhalten.