Denn sie wissen (nicht), was sie tun

Zentralbanken zwischen Inflation und Aktionismus

3 min Lesedauer 04.07.2019
Pärchen mittleren Alters liest Zeitung im Bett mit Hund

Als sogenannter Zentralbank-Watcher hat man immer mindestens zwei Aufgaben: Erstens, man muss vorhersagen, was die Notenbank wann und warum tun wird und, zweitens, man muss Kommentare und Meinungen zum Handeln der Notenbank abgeben. In den letzten Jahren war es für mich einfach, beide Aufgaben zu vereinen. Entscheidungen der EZB waren nicht nur nachvollziehbar, sie waren meiner Meinung nach auch zwingend nötig. Ohne Zinssenkungen und Ankaufprogramme hätte die Eurozone wohl nicht den Aufschwung der letzten Jahre genießen können. Aktuell wird es allerdings immer schwieriger, beide Aufgaben als Zentralbank-Watcher unter einen Hut zu bekommen.

 

Es war wohl das Ereignis an den Finanzmärkten im Monat Juni: die Kehrtwende der Notenbanken. Statt geldpolitischer Normalisierung oder sogar Zinserhöhungen, die Ende letzten Jahres noch in den USA und der Eurozone diskutiert wurden, haben jetzt Fed und EZB eine erneute geldpolitische Lockerung in Aussicht gestellt. Was ist passiert?

 

In den USA fürchtet man, dass die Handelsstreitigkeiten der letzten Monate langsam auch Spuren in der amerikanischen Konjunktur hinterlassen können. In der Eurozone geht die Angst um, dass die lange Schwächephase der Industrie so langsam auch die Binnenkonjunktur angreift. Anders als in der Vergangenheit probieren beide Zentralbanken präventiv einzugreifen, um Schlimmeres zu verhindern.

 

Vor allem für die EZB gilt dabei, dass aktuell zwei Faktoren die geldpolitischen Entscheidungen bestimmen: Inflation und Aktionismus. Die EZB unter Mario Draghi nimmt ihr Mandat, Preisstabilität zu erreichen, sehr ernst. Solange die Inflationsprognosen für die kommenden Jahre deutlich unter der 2%-Marke bleiben, heißt es „Feuer frei“. Hinzu kommt, dass es für die EZB unter Draghi eigentlich nichts Schlimmeres gibt als eine Notenbank, die zugeben muss, keine Munition mehr zu haben. Beide Faktoren zusammen bedeuten, dass sich in der Eurozone nicht mehr die Frage stellt, was alles noch schlechter gehen kann, um die EZB zum Handeln zu zwingen, sondern eher, was die EZB noch vom Handeln abhalten kann. Zinssenkungen, ein Neustart des Anleihekaufprogramms bis hin zu Aktienkäufen sollten langfristig nicht mehr komplett ausgeschlossen werden.

 

Bleibt die klitzekleine Frage, ob mehr Aktionismus der Wirtschaft auch wirklich helfen würde. Und hier hat der EZB-Watcher doch zunehmende Zweifel. In vielen Eurozonen-Ländern wächst die Kreditvergabe für Unternehmen schon mit mehr als 5% pro Jahr. Die Zinsen sind schon extrem niedrig und ob nun ein noch schwächerer Euro in Zeiten von Handelskonflikten wirklich hilft, ist fragwürdig. Anstelle von neuem Aktionismus könnte die EZB auch einfach sagen, dass es nun Zeit für die europäische Politik ist, den Ball aufzunehmen. An einem Strang ziehen für die Zukunft der Währungsunion und geschlossen mehr Investitionen durchziehen, würden der Wirtschaft und den Bürgern deutlich mehr bringen als neuer geldpolitischer Erfindergeist. Zumindest der hier unterzeichnende EZB-Watcher hätte dann weniger Gewissenskonflikte bei der Ausübung seines Jobs.