Börse ist Psychologie
Kennen Sie den psychologischen Börsenzyklus?
Vom Auf und Ab an der Börse haben die meisten Anlegerinnen und Anleger schon gehört. Wie dies in der Praxis aussieht, stellten die Aktienmärkte im Zuge der Corona-Krise und des Ukraine-Kriegs eindrucksvoll unter Beweis. Den starken Kursverlusten 2020 folgte ein nicht weniger dynamischer Kursanstieg. Erst Anfang 2022, mit dem Beginn des Ukraine-Kriegs, gaben die Kurse wieder deutlich nach.
Übertreibungen im Sinne von starken Kursausschlägen nach oben wie nach unten sind an der Börse indes nicht ungewöhnlich. Im Gegenteil: Sie sind unter anderem Ausdruck des Handels der Marktteilnehmer und Marktteilnehmerinnen. Die Psychologie spielt dabei eine nicht unwesentliche Rolle.
Die Hausse nährt die Hausse
So wächst nach einer längeren Phase mit steigenden Kursnotierungen (Hausse) bei vielen Anlegerinnen und Anlegern das Vertrauen in den Markt. Es entwickelt sich ein zunehmendes Kontrollempfinden. Infolgedessen nimmt die Risikobereitschaft zu. In einer solchen Phase konzentriert sich die Aufnahme und Bewertung von Informationen zu einem Investment verstärkt auf Meldungen, welche die eigene, positive Einschätzung bestätigen und für steigende Kurse sprechen. Nachrichten mit negativem Tenor wird dagegen weniger Bedeutung beigemessen.
Steigen die Kurse weiter, nimmt die positive Stimmung zu und kann im Extremfall euphorisch werden. In dieser Phase besteht in den Medien und unter den Marktteilnehmern ein breiter Konsens darüber, dass sich die Aufwärtsbewegung fortsetzen wird. Anlegerinnen und Anleger verspüren jetzt ein sehr hohes Kontrollempfinden. Doch bekanntermaßen endet die Hausse in der Euphorie. Die starken Kursanstiege legen somit die Basis für eine Abwärtsbewegung, welche übertriebene und teils irrationale Preissteigerungen korrigiert.
Mit der Baisse kommt der Stress
Am Anfang der Abwärtsbewegung ist die allgemeine Stimmung nach wie vor positiv, der Konsens in den Nachrichten bleibt optimistisch. Anlegerinnen und Anleger gewichten Argumente, die für weiterhin steigende Kursnotierungen sprechen könnten, stärker als solche, die auf ein Ende der Hausse hinweisen. Schwächere Kurse werden zunächst noch gelassen zur Kenntnis genommen und eher als Chance zum Nachkaufen gesehen. Sinken die Kursnotierungen über einen längeren Zeitraum (Baisse) verstärkt sich jedoch das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren. Anlegerinnen und Anleger geraten zunehmend in eine Stresssituation. Zweifel wachsen, die Investmententscheidung wird infrage gestellt. Die Informationsaufnahme erfolgt nun wieder neutral, positive Nachrichten werden nicht mehr übergewichtet.
Fortgesetzte Kursrückgänge lassen die Stimmung schließlich ins Negative kippen, in der Berichterstattung wird der Konsens pessimistisch. Die Risikobereitschaft nimmt immer mehr ab, aber noch hegen Anlegerinnen und Anleger die Erwartung, dass sich die Kurse schnell erholen. Diese Hoffnung schwindet mit weiter fallenden Kursnotierungen. Das Gefühl, die Kontrolle verloren zu haben, verstärkt den Stress und begünstigt das Aufkommen von Angst. Der Markt befindet sich jetzt einer Phase der irrationalen Übertreibung nach unten. Panik macht sich breit und der Wunsch, die Kontrolle wiederzuerlangen, mündet schließlich in der Kapitulation. Das Investment als mutmaßlicher Auslöser der negativen Empfindungen wird verkauft – egal zu welchem Preis.
Wie ein Phönix aus der Asche
Mit weiteren Kursrückgängen fühlen sich Anlegerinnen und Anleger in ihrem Handeln bestätigt. Die Phase der Kapitulation ist gekennzeichnet durch eine extrem schlechte Stimmung, die teilweise zur totalen Ablehnung von Investments am Kapitalmarkt führt. Nachrichten, die eine Fortsetzung der Kursverluste rechtfertigen, wird eine hohe Bedeutung beigemessen, der Tenor bleibt pessimistisch.
Erholen sich die Kurse anschließend, wird dies als bedeutungslose Reaktion auf die vorangegangenen Verluste gewertet. Mit der fortgesetzten Erholung der Kursnotierungen wird der Tenor in den Nachrichten allmählich neutral. Viele Marktteilnehmende begegnen den steigenden Notierungen angesichts des zuvor erlittenen Kontroll- und Kapitalverlusts jedoch mit Verunsicherung und Vorsicht. Fortschreitende Kursanstiege führen schließlich zu einem Stimmungsumschwung. Der Konsens in der Berichterstattung wird wieder optimistischer. Ein positives Bild von der künftigen Entwicklung und die Erwartung weiter steigender Kurse verfestigen sich, das Vertrauen kehrt zurück und der Zyklus beginnt aufs Neue.
Anlegerinnen und Anlegern kann das Wissen um die psychologischen Begleiterscheinungen des Börsenzyklus dabei helfen, die aktuelle Situation des Marktes besser einzuordnen und Fehler wie die Fixierung auf den Einstandspreis, ein zu langes Festhalten an Verlustpositionen oder ein trügerisches Kontrollempfinden zu vermeiden.