Zinsen und Konjunktur im Blick: Frühindikatoren für den Euroraum

Geldanlage 6 min Lesedauer 10.09.2024
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Zinsentscheidungen der Notenbanken finden an den Finanzmärkten stets viel Beachtung. Immerhin haben sie einen großen Einfluss auf die Finanzierung von Investitionen und damit auf das Wirtschaftswachstum. Um fundierte Entscheidungen in Sachen Geldpolitik zu treffen, schauen die Notenbanken auf eine ganze Reihe von Wirtschaftsdaten. Auch Anlegerinnen und Anleger können aus Konjunkturindikatoren nützliche Rückschlüsse für die Geldanlage ziehen.

Inhaltsverzeichnis
  1. Zinssenkung im September erwartet
  2. Harmonisierter Verbraucherpreisindex ist Leitindikator für die EZB
  3. EZB-Inflationsziel kommt in Sichtweite
  4. Inflation bekämpfen, ohne die Konjunktur abzuwürgen
  5. Einkaufsmanagerindizes geben frühzeitig Signale
  6. Werte über 50 zeigen Wirtschaftswachstum an

Zinssenkung im September erwartet

Anfang Juni 2024 senkte die Europäische Zentralbank die Leitzinsen für den Euroraum von 4,50 % auf 4,25 %. Im September dürfte ein weiterer Zinsschritt nach unten folgen. Insbesondere für Unternehmen mit einem hohen Kapitalbedarf sowie Firmen aus dem Mid- und Small-Cap-Bereich können niedrigere Zinsen die Finanzierungsbedingungen erleichtern und die Geschäftsperspektiven aufhellen.

Harmonisierter Verbraucherpreisindex ist Leitindikator für die EZB

Wie stark die Zinsen in den kommenden Monaten gesenkt werden, hängt maßgeblich von der Entwicklung der Inflation ab. Denn die Wahrung der Preisstabilität im Euroraum ist die primäre Aufgabe der Europäischen Zentralbank (EZB). Hierfür haben sich die Währungshüter das Ziel einer jährlichen Inflationsrate von 2,0 % gesetzt. Zur Beurteilung der Preisstabilität zieht die EZB die jährliche Veränderungsrate des Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) heran. Da ein Umfeld sinkender Zinsen den Aktienmarkt tendenziell begünstigt, ist der HVPI auch für Anleger und Anlegerinnen von Interesse. 

Wie der Name bereits sagt, harmonisiert der HVPI die von den Mitgliedstaaten der EU erhobenen Inflationsdaten und macht diese vergleichbar. Der HVPI wird vom Statistischen Amt der Europäischen Union (Eurostat) für jeden Mitgliedstaat sowie für den Euroraum und die EU insgesamt ermittelt. Um ein möglichst genaues Bild von der Preisentwicklung zu erhalten und etwaige Verschiebungen bei der Ausgabenstruktur der Verbraucher zu berücksichtigen, wird die Gewichtung der Gütergruppen im Warenkorb des HVPI einmal im Jahr aktualisiert. 

Entsprechend der Europäischen Klassifikation des individuellen Verbrauchs nach Verwendungszwecken (ECOICOP) erfasst der HVPI die Preisveränderungen von Produkten aus 12 Hauptkategorien (u. a. Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke, alkoholische Getränke und Tabakwaren, Wohnung, Gesundheitswesen, Verkehr). Preise für Produkte, die nicht zu den Konsumausgaben der privaten Haushalte gehören (z. B. Glücksspiel, Lebensversicherung), werden vom HVPI nicht erfasst.

EZB-Inflationsziel kommt in Sichtweite

Zum Ende eines jeden Monats veröffentlicht Eurostat eine Schnellschätzung der Inflationsdaten für den jeweiligen Monat. Diese geben eine gute Indikation, in welche Richtung sich die Teuerung bewegt. Mitte des darauffolgenden Monats werden dann die finalen Daten verkündet. Diese weichen in der Regel nur minimal von den Schnellschätzungen ab. 

Entsprechend der Schnellschätzung von Eurostat lag die jährliche Inflation im Euroraum im August 2024 bei 2,2 % und damit niedriger als im Juli (2,6 %). Dass die EZB im Kampf gegen die Teuerung bereits große Fortschritte erzielt hat, zeigt auch der Vergleich mit August 2023. Vor einem Jahr lag die jährliche Inflation im Euroraum noch bei 5,2 %, vor zwei Jahren sogar bei 9,1 %. 

Die von der EZB besonders beachtete Kernrate der Inflation, welche die starken Schwankungen unterworfenen Preiskomponenten Energie, Lebensmittel, Alkohol und Tabak ausklammert, lag mit 2,8 % im August ebenfalls unter dem Niveau der vorangegangenen drei Monate (2,9 %).

Inflation bekämpfen, ohne die Konjunktur abzuwürgen

Auch wenn die EZB das 2,0%-Ziel noch nicht erreicht hat, ermöglicht ihr die nachlassende Dynamik der Preissteigerungen Spielraum für Zinssenkungen. Diese scheinen mit Blick auf die schwächelnde Konjunktur im Euroraum auch angeraten. Zwar ist die Förderung des Wirtschaftswachstums nicht das primäre Ziel der EZB. Allerdings müssen die Währungshüter die Auswirkungen der Geldpolitik auf die Konjunktur im Blick haben, um ungewollte Entwicklungen wie eine Rezession und das Risiko einer Deflation zu vermeiden. Ebenso wie bei den Preissteigerungen gilt auch für die Konjunktur: Je eher es Signale gibt, desto eher kann gegengesteuert werden.

Einkaufsmanagerindizes geben frühzeitig Signale

Zu den stark beachteten Frühindikatoren zählen die Einkaufsmanagerindizes (EMI bzw. PMI, Purchasing Managers Index) für das verarbeitende Gewerbe (Industrie) und das nicht verarbeitende Gewerbe (Dienstleistungssektor). Die Daten werden jeweils zu Monatsbeginn auf der PMI-Website von S&P Global veröffentlicht (Industrie: 1. Werktag, Dienstleistungssektor und Gesamtwirtschaft: 3. Werktag). 

Die Einkaufsmanagerindizes basieren auf monatlichen Umfragen von 5.000 ausgewählten Unternehmen in der Industrie und im Servicesektor. Dienstleister geben ihre Einschätzung bezüglich der aktuellen Geschäftstätigkeit im Vergleich zum Vormonat ab. Bei Unternehmen aus der Industrie werden verschiedene Faktoren wie die Entwicklung der Auftragseingänge, der Produktion, Beschäftigungslage, Lieferzeiten und Vormateriallager abgefragt. Die Logik dahinter: Rechnen die Firmen mit schlechteren Geschäftsaussichten für die nahe Zukunft, werden sie Einkäufe von Vorprodukten und Rohmaterialien für die Produktion zurückfahren. Zudem stellen sie womöglich weniger Leute ein oder müssen sogar Personal abbauen. 

Knapp 2 Wochen vor den endgültigen PMIs werden Schnellschätzungen (Flash-Indizes) veröffentlicht. Diese basieren auf rund 85 % bis 90 % der Rückmeldungen zur monatlichen Umfrage und liefern eine detaillierte frühzeitige Schätzung zur aktuellen Lage. Die frühe Veröffentlichung sowie geringe Unterschiede zwischen den Schnellschätzungen und den endgültigen Daten machen die PMIs zu wertvollen Frühindikatoren.

Werte über 50 zeigen Wirtschaftswachstum an

Die Interpretation der PMIs ist denkbar einfach. Jeder Index bewegt sich innerhalb einer Skala von 0 bis 100 Punkten. Wichtig ist die Marke von 50 Punkten. Werte oberhalb dieser Marke signalisieren ein Wachstum (Expansion) des jeweiligen Sektors bzw. der Wirtschaft. Werte unterhalb von 50 Punkten deuten dagegen auf eine schrumpfende Wirtschaft hin (Kontraktion). Auch der Trend der PMIs lässt Rückschlüsse zu. So signalisiert ein steigender PMI tendenziell positive Geschäftsaktivitäten. Umgekehrt kann ein über mehrere Monate sinkender PMI auf eine mögliche Abschwächung der Konjunktur hindeuten. 

In der Eurozone zeigt sich aktuell eine unterschiedliche Entwicklung zwischen der Industrie und dem Dienstleistungssektor. So lag der von S&P Global erhobene Einkaufsmanagerindex Industrie Eurozone im August wie im Vormonat bei 45,8 Punkten und damit unter der Schwelle von 50 Punkten. Dagegen legte der Dienstleistungsindex Eurozone im August im Vergleich zum Vormonat um 1 Punkt auf 52,9 Punkte zu. Wachstumsimpulse erhält die Wirtschaft im Euroraum derzeit also vor allem von Unternehmen aus dem Dienstleistungssektor. 

Einkaufsmanagerindizes geben frühzeitig Hinweise auf die zu erwartende Entwicklung der Wirtschaft. Anlegerinnen und Anleger können die Ergebnisse bei ihren Handelsentscheidungen berücksichtigen. Liegt zum Beispiel der Einkaufsmanagerindex für die Industrie in der Eurozone unter 50, könnte es sinnvoll sein, Unternehmen aus konjunktursensitiven Branchen wie der Automobilindustrie oder dem Maschinenbau im Depot weniger stark zu gewichten, und umgekehrt. Die Aktien-Suche der ING ist hierbei ein nützliches Tool. Mit der Filterfunktion „Branche“ kann gezielt nach Unternehmen aus einzelnen Branchen gesucht werden. Neben der Automobilindustrie und dem Maschinenbau zählen auch das Baugewerbe, die Chemie, der Einzelhandel sowie Gastronomie & Tourismus zu den Branchen, die stark auf konjunkturelle Schwankungen reagieren. Dagegen zeigen Unternehmen aus den Branchen Gesundheit, Pharma, Nahrungsmittel oder die Versorger auch in wirtschaftlich unsicheren Zeiten oft eine gewisse Stabilität in ihrer Geschäftsentwicklung.

Autor: Steffen Droemert

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