Gradmesser für Euphorie und Panik
So erkennen Sie die Stimmung an den Märkten!
Wurde früher vom Börsenparkett berichtet, sah man oft Händlerinnen und Händler, die hektisch gestikulierten und laut schrien, um Wertpapiere für ihre Kundschaft zu kaufen oder zu verkaufen. Die Emotionen waren für Beobachtende greifbar und ließen Rückschlüsse darauf zu, was sich am Markt gerade abspielte.
Heute läuft der Handel größtenteils automatisiert und es ist deutlich ruhiger geworden, zumindest auf dem Börsenparkett. Am Markt selbst haben Emotionen nach wie vor Einfluss auf das Geschehen. So lautet eine der unzähligen Börsenweisheiten nicht ohne Grund: „Die Hausse endet in der Euphorie“. Die Idee dahinter: Wenn die Mehrzahl der Marktteilnehmenden euphorisch ist und mit steigenden Kursen rechnet, dann sind sie voll investiert. Damit fehlt in Zukunft aber der „Treibstoff“ für weitere Kurszuwächse. Umgekehrt lässt das Auftreten von Panik vermuten, dass viele Marktteilnehmende ihre Positionen veräußert haben, was in Zukunft den Verkaufsdruck abebben lassen sollte.
Für Anlegerinnen und Anleger kann es daher sinnvoll sein, bei ihren Handelsentscheidungen die Stimmung am Markt zu berücksichtigen. Doch wie lässt sich diese ermitteln? Eine Möglichkeit, sich einen Überblick zu verschaffen, bietet der Fear & Greed Index des amerikanischen Nachrichtensenders CNN. Dieser misst die aktuelle Stimmung der Anlegerinnen und Anleger anhand von sieben Teilindikatoren. Dazu zählen:
- die Nachfrage nach Anleihen von Emittenten mit geringer Kreditwürdigkeit (Junk Bonds),
- das Verhältnis der Handelsvolumina von bullischen Kauf- und bärischen Verkaufsoptionen (Put/Call-Ratio),
- die Marktbreite (Handelsvolumen der Aktien die steigen, verglichen mit dem Handelsvolumen der Aktien die fallen),
- das Momentum des Marktes (Dynamik der Kursbewegung ermittelt anhand des S&P 500 und seines 125-Tage Gleitenden-Durchschnitts),
- die Stärke der Aktienkurse (gemessen an der Zahl der Aktien, die ein neues 52-Wochen-Hoch erreicht haben),
- die Schwankungsbreite des Marktes (gemessen am Volatilitätsindex VIX) sowie
- die Nachfrage nach sicheren Anlagen (gemessen an der Renditeunterschiende zwischen Aktien und Anleihen).
Für jeden Teilindikator wird angegeben, wie weit er aktuell von seinem Durchschnittswert abweicht und wie stark er normalerweise abweicht. Dazu wird jedem Teilindikator ein Wert zwischen 0 und 100 zugeordnet, wobei 50 ein neutrales Niveau markiert. Je nachdem, welcher Wert ermittelt wird, zeigen die Teilindikatoren einen Zustand an: Extreme Angst, Angst, eine neutrale Lage, Gier oder extreme Gier. In den endgültigen Fear & Greed Index fließen allen sieben Teilindikatoren gleich gewichtet ein. Auch hier gilt: Je weiter der Wert über 50 liegt, umso gieriger sind die Marktteilnehmenden. Ein Chart, der den Verlauf des Index in den letzten drei Jahren anzeigt, erleichtert die Einordnung der aktuellen Lage.
Obwohl sich der Fear & Greed-Index auf den US-Markt bezieht, bietet er auch Anlegerinnen und Anlegern im Euroraum einen Mehrwert, denn der US-Markt besitzt eine Leitfunktion für die weltweiten Finanzmärkte. Zudem gibt es für den deutschen Aktienmarkt ebenfalls Indikatoren, die die Stimmung der Investorinnen und Investoren messen. Einer davon ist der Sentiment-Indikator der Börse Frankfurt, an dessen Ermittlung sich alle interessierten Investorinnen und Investoren beteiligen können. Hierbei wird davon ausgegangen, dass Anlegende mit bullischen Erwartungen long sind, also auf steigende Kursnotierungen setzen. Bei Anlegenden mit bärischen Erwartungen wird davon ausgegangen, dass sie short sind, sprich auf fallende Kursnotierungen setzen. Die Ergebnisse werden anschließend anhand der Erkenntnisse aus der verhaltensorientierten Kapitalmarktanalyse (Behavioral Finance) ausgewertet und interpretiert. Dabei sollen insbesondere Veränderungen in den Markterwartungen Hinweise auf Einstandspreise und Schieflagen der Investorinnen und Investoren liefern. Mit Sentix und AnimusX gibt es zwei weitere Möglichkeiten, wie Anlegende selbst an Umfragen zur Ermittlung der Marktstimmung teilnehmen können und im Gegenzug detaillierte Auswertungen der aktuellen Umfrageergebnisse erhalten.
Um extreme Stimmungen am Aktienmarkt zu erkennen, kann auch der sogenannte Titelbild-Indikator helfen. Wenn Tageszeitungen, die sich der Entwicklung an den Märkten normalerweise nur auf den hinteren Seiten oder überhaupt nicht widmen, plötzlich auf der ersten Seite groß über eine Rally oder einen Crash an der Börse berichten, kann diese als ein Anzeichen für eine Übertreibung gewertet werden. Allerdings lässt sich daraus nicht ableiten, wie lange diese Übertreibung dauert und wann genau es zu einer Trendwende kommt. Schon der britische Ökonom John Maynard Keynes soll festgestellt haben: „Der Markt kann sich länger irrational verhalten, als man selbst zahlungsfähig bleibt“. Die aktuelle Marktstimmung sollte daher nur ein Baustein im Entscheidungsprozess für oder gegen ein Investment sein und durch andere Faktoren, wie fundamentale Bewertungen ergänzt werden.