Inflation
Kurzfristiger Ausblick und langfristige Treiber
Mit der Wiedereröffnung der Wirtschaft nach den pandemiebedingten Lockdowns kehrte bereits im Jahr 2021 das Schreckgespenst der Deutschen zurück: die Inflation. Nachdem die Inflation im Jahr 2020 bei durchschnittlich 0,5 Prozent gelegen hatte, verteuerten sich Waren und Dienstleistungen im Jahr 2021 im Vergleich zum Vorjahr um durchschnittlich 3,1 Prozent. Haupttreiber waren ein Anstieg der Energiepreise sowie ein verknapptes Material- und Warenangebot aufgrund von Lieferkettenstörungen, weswegen zu diesem Zeitpunkt noch von einem vorübergehenden Phänomen ausgegangen wurde. Im Februar 2022 veränderte sich dann mit Beginn des Kriegs in der Ukraine allerdings die Welt, wie wir sie kannten und es ergaben sich neue wirtschaftliche Herausforderungen. Der neue Preisdruck machte sich zunächst insbesondere an den Tankstellen und im Supermarkt bemerkbar. Energie verteuerte sich im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr um durchschnittlich 30 Prozent, für Lebensmittel mussten durchschnittlich 13 Prozent als noch im Jahr 2021 bezahlt werden. Insgesamt lag die Inflation im Jahr 2022 bei 6,9 Prozent – dem höchsten jährlichen Wert seit der Wiedervereinigung.
Die Inflation im Jahr 2023 – auf den Angebotsschock folgt breiter Inflationsdruck
Die Treiber der Inflation der vergangenen Jahre waren vor allem eines: angebotsseitig. Seien es niedrige Energiepreise im Jahr 2020 aufgrund des starken Nachfrageeinbruchs, der gegenteilige Fall im Jahr 2021, pandemiebedingte Lieferkettenstörungen und hohe Frachtkosten oder die wirtschaftlichen Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine. Nun, im Jahr 2023, zeigt die Inflation ein anderes Gesicht. Der Blick unter die Oberfläche der jährlichen Teuerungsrate zeigt, dass die Inflation immer stärker durch die Nachfrageseite getrieben wird. Zwar lag die deutsche Gesamtinflation im Juli 2023 bei „nur noch“ 6,2 Prozent, und somit um 2,6 Prozentpunkte unterhalb des Höchstwertes, der im Oktober 2022 erreicht wurde, allerdings war die niedrigere Teuerungsrate vor allem auf negative Basiseffekte der Energie- und Lebensmittelpreise zurückzuführen. Im Vergleich zum Vormonat sanken die Preise für Energie im Juli um 0,1 Prozent, die Preise für Lebensmittel vergünstigten sich um 0,3 Prozent. Teurer hingegen waren im Juli Pauschalreisen und auch insgesamt zeigt sich, dass die Inflation des Jahres 2023 deutlich stärker durch Preissteigerungen im Dienstleistungsbereich getrieben ist als es in den Vorjahren der Fall war. Das erklärt auch warum die Kerninflation, die Steigerung des Verbraucherpreisindex exklusive Energie- und Lebensmittelpreise, noch keine deutlichen Abwärtstendenzen zeigt. Im Juli 2023 lag die Kernrate bei 5,5 Prozent und somit zwar niedriger als im Vormonat, als sie noch bei 5,8 Prozent gelegen hatte, im Vergleich zu Oktober 2022, als die Gesamtinflation ihren Höhepunkt erreicht hatte, lag sie allerdings um 0,7 Prozentpunkte höher.
Zugegebenermaßen implizieren diese Zahlen zunächst vor allem eines: einen nach wie vor hohen Inflationsdruck und wenig Entlastung für Verbraucher und EZB. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Entlastung kommen wird – und zwar bereits nach dem Sommer 2023. Immer weniger Unternehmen im Dienstleistungssektor geben an, mit höheren Verkaufspreisen in den vor uns liegenden Monaten zu rechnen, was in nachlassendem Preisdruck im Dienstleistungsbereich resultieren sollte. Gleiches gilt für das herstellende Gewerbe. Zum Ende des Jahres dürfte die Gesamtinflation auf etwa 3 Prozent fallen, im Jahr 2024 dürfte sie durchschnittlich wieder deutlich näher an die von der EZB angestrebten 2 Prozent rücken.
Inflation in einer neuen Welt
Langfristig ist allerdings nicht davon auszugehen, dass die Inflation wieder auf das Niveau von vor der Pandemie sinken wird. Zwischen 2015 und 2019 lag die jährliche Inflationsrate im Durchschnitt bei 1,2 Prozent – und somit deutlich unterhalb des Inflationsziels der EZB. Die Inflation lag vor allem aufgrund von strukturellen Faktoren so niedrig. Die Globalisierung hatte beispielsweise maßgeblich dazu beigetragen, dass Güter und Dienstleistungen sich nicht allzu stark verteuerten. In den kommenden Jahren wird das Gegenteil der Fall sein und aufgrund verschiedener Treiber wird die Inflation strukturell höher liegen als in den vergangenen 10 Jahren. Zum einen wäre da der Trend und die Notwendigkeit hin zu einer grüneren Wirtschaft. Das deutsche Geschäftsmodell der vergangenen Jahre, basierend auf dem Importieren von günstiger Energie und dem Exportieren von Produkten, muss komplett überarbeitet werden. Produktionsprozesse müssen umgestellt werden, was zunächst in höheren Produktionskosten und geringerer Produktivität resultieren dürfte. Auch der demographische Wandel und die sich verändernden Handelsströme werden dazu beitragen, dass die Inflation strukturell höher liegen wird. Strukturell höher bedeutet allerdings nicht unbedingt, dass die hohen Inflationsraten der vergangenen zwei Jahre das neue Normal sein werden – es bedeutet allerdings definitiv, dass die niedrigen Inflationsraten der Vorpandemiejahre ebenfalls der Vergangenheit angehören.
Geldpolitische Aussichten
Mit der Niedriginflationsperiode kam die ultralockere Geldpolitik der EZB – mit dem deutlichen Anziehen der Inflation im vergangenen Jahr wurde diese ultralockere Geldpolitik graduell zurückgefahren. Anleiheankaufprogramme wurden beendet und im Juli 2022 erhöhte die EZB zum ersten Mal seit mehr als 10 Jahren die Leitzinsen. Zur ersten Zinserhöhung um 50 Basispunkte gesellten sich im Laufe der vergangenen 12 Monate weitere Zinsschritte im Umfang von insgesamt 375 Basispunkten hinzu. Der Refinanzierungssatz, der Leitzins der EZB, der noch im Jahr 2022 bei 0 Prozent stand, liegt im August 2023 bei 4,25 Prozent. Ob die EZB im September noch einmal um 25 Basispunkte nachlegen wird, bleibt abzuwarten. Klar ist allerdings, dass die Niedrigzinspolitik erst einmal der Vergangenheit angehört. Der Zinsgipfel ist fast erreicht. Es ist aber nicht davon auszugehen, dass nach Erreichen des Zinsgipfels auch wieder ein schneller Abstieg folgt.
Für Sparerinnen und Sparer bedeutet das, in Verbindung mit dem Rückgang der Inflation, dass sich in den kommenden Jahren zum ersten Mal seit langem wieder positive Realzinsen ergeben könnten. Sprich: die Tagesgeldzinsen könnten wieder oberhalb der Inflationsrate liegen.