So viel kostet es Sie, weniger zu arbeiten

Von Nathanael Häfner, David Schach und Benja Zehr, veröffentlicht von ZEIT ONLINE

ZEIT ONLINE 9 min Lesedauer 13.05.2024
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Wie stark sinkt das Gehalt wirklich, wenn Sie 20, 30 oder 50 Prozent weniger arbeiten? Der Teilzeit-Rechner von ZEIT ONLINE zeigt, was Ihnen netto mit weniger Stunden bleibt. Mit dem exklusiven Probeabo der ZEIT ONLINE haben Sie die Möglichkeit, diesen zu testen.

Viele Deutsche wollen weniger arbeiten. Einige tun es bereits. "Wegen unserer kleinen Kinder arbeiten mein Mann und ich beide 75 Prozent", schreibt eine Leserin. "Ich würde in Teilzeit arbeiten, wenn es finanziell möglich wäre", ein anderer Leser. Für viele ist und bleibt Teilzeit vor allem ein finanzieller Spagat. Die entscheidende Frage für alle, die mehr Zeit, dafür aber nicht auf zu viel Geld verzichten wollen, lautet also: Was kostet es mich, weniger zu arbeiten?  

Viele Menschen hadern mit genau diesem Zwiespalt, wie auch die Zahlen zeigen: So wollen weitaus mehr Menschen in Teilzeit arbeiten, als es tatsächlich tun. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung kommt zu dem Schluss, dass die Hälfte der männlichen Befragten dafür zu haben wäre, nur sechs statt acht Stunden am Tag zu schuften. Unter den befragten Frauen gaben immerhin 41 Prozent an, das Büro lieber an nur drei statt an fünf Tagen in der Woche betreten zu wollen. Auch 76 Prozent unserer Geld-Newsletter-Abonnenten können sich Teilzeit vorstellen. Und doch: Nur knapp ein Drittel aller Beschäftigten in Deutschland arbeitet nicht in Vollzeit.  

Die Differenz zwischen Wunsch und Wirklichkeit liegt auch an einem simplen Zusammenhang: Wer weniger arbeitet, verdient auch weniger. Dass Unternehmen ihre Angestellten dennoch gleich entlohnen, scheint auch nach der zuletzt ausgiebigen Debatte um die Viertagewoche unwahrscheinlich. 

Der Teilzeit-Rechner von ZEIT ONLINE soll dabei helfen, die Frage nach den Kosten der Teilzeit zu beantworten. Wie sehr das eigene Nettogehalt sinkt, wenn Sie weniger arbeiten, hängt von individuellen Faktoren ab: Je nachdem, ob Arbeitnehmerinnen verheiratet sind, Kinder haben oder über zusätzliches Einkommen verfügen, fällt das Gehalt unterschiedlich aus. Meistens gilt: Sinkt die Arbeitszeit um einen bestimmten Prozentsatz, fällt das Gehalt nicht im gleichen Maße.  

Das zeigt ein vereinfachtes Beispiel: Angenommen, ein alleinstehender Hesse mit Steuerklasse I verdient in Vollzeit 3.000 Euro brutto im Monat. Nun reduziert er auf 30 Wochenstunden. Brutto reduziert sich sein Gehalt um ein Viertel auf 2.250 Euro. Netto verliert er allerdings nur ein Fünftel. Während er vorher gut 2.000 Euro netto hatte, sind es jetzt noch 1.600 Euro. Er hat zwar absolut weniger Geld zur Verfügung, allerdings hat sich sein Netto-Stundenlohn erhöht.  

Das liegt auch am deutschen Steuersystem. Je weniger eine Arbeitnehmerin verdient, umso größer ist der Anteil ihres Einkommens, der im steuerfreien Bereich bis 10.908 Euro liegt. Erst ab da greift nämlich der progressive Steuersatz, der sich bis zu versteuerndem jährlichem Einkommen von 61.972 Euro auf 42 Prozent Spitzensteuersatz steigert. Diesen zahlen etwa vier Millionen Deutsche, schätzt das Bundesfinanzministerium. Der Reichensteuersatz von 45 Prozent gilt ab 277.826 Euro zu versteuerndem Einkommen pro Jahr.

Nur rosa ist der Traum von Teilzeit nicht, denn sie hat neben absolut weniger Geld auch langfristige Nachteile. "Durch Teilzeit erwerben Arbeitnehmer eine geringere Rente, als wenn sie im bisherigen Umfang arbeiten", sagt Katja Braubach von der Deutschen Rentenversicherung. Die Rente berechnet sich anhand der Entgeltpunkte. Ein Entgeltpunkt ergibt sich aus dem eigenen Bruttogehalt, geteilt durch das Durchschnittsgehalt aller Versicherten, aktuell 43.142 Euro. Wer 35.000 Euro im Jahr brutto verdient, landet bei 0,8113 Entgeltpunkten, das entspricht 30,50 Euro Rente. Mit Viertagewoche und 28.000 brutto im Jahr reduzieren sich die Entgeltpunkte auf 0,6490, Sie landen dann nur noch bei 24,40 Euro. 

Heißt also: Zwar können Sie weniger arbeiten und dadurch netto mehr pro Stunde verdienen. Ihre Rentenansprüche sinken allerdings genau in dem Maße, indem Sie weniger arbeiten, und das schmälert die Altersvorsorge. Immerhin zahlen Sie im Übergangsbereich zwischen 520 und 2.000 Euro weniger Sozialversicherung, das wirkt sich aber nicht nachteilig auf Ihre Rentenansprüche aus. "Bei der Rentenberechnung wird das tatsächliche Bruttoentgelt zugrunde gelegt", sagt Braubach.   

Arbeitnehmer haben ein Recht auf Teilzeit

Rechtlich dürfen viele in Teilzeit arbeiten. Tatsächlich gibt es sogar ein offizielles "Recht auf Teilzeit", das allerdings nicht unbedingt jeder Arbeitnehmer in Anspruch nehmen kann. Wer allerdings länger als sechs Monate in einem Betrieb mit mehr als 15 Beschäftigten tätig ist, kann Teilzeit schriftlich beantragen und hat auch sehr gute Chancen. Dann kann ein Betrieb die Teilzeit nur ablehnen, wenn betriebliche Gründe dem entgegenstehen. Hat ein Betrieb mehr als 45 Angestellte, ist Brückenteilzeit möglich. Das heißt, nach mindestens einem und höchstens fünf Jahren Teilzeit können Sie wieder zu einer vollen Stelle zurückkehren. 

"Der Teilzeitanspruch ist geltendes Recht und kein Benefit eines großzügigen Arbeitgebers", sagt der Arbeitsrechtler und ver.di-Gewerkschaftssekretär Daniel Stach. Er empfiehlt, vorher mit dem Arbeitgeber auszuloten, wie sich die Arbeitszeit sinnvoll verteilen lässt. "Hier dürfte eine gewisse Flexibilität auf beiden Seiden nicht schaden", sagt Stach. Stellt sich der Betrieb aber quer, empfiehlt er einen Anwalt für Arbeitsrecht oder eine Gewerkschaft.

Obwohl das Interesse männlicher Angestellter sogar größer ist als weiblicher, in Teilzeit zu arbeiten, bleibt "Teilzeit eher ein weibliches Phänomen", sagt Katharina Wrohlich, Ökonomin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Während erwerbstätige Frauen im Schnitt 32 Stunden die Woche arbeiten, arbeiten erwerbstätige Männer im Schnitt 41 Stunden. Deutschland liegt laut Eurostat mit fast 50 Prozent Frauen in Teilzeitstellen auf Platz vier europaweit, höher ist der Wert in Österreich und in der Schweiz. Platz eins belegen die Niederlande, wo Teilzeit schon seit den Neunzigern gängiger ist und auch fast jeder vierte Mann in Teilzeit arbeitet.  

Schuld an dem Teilzeit-Gefälle zwischen den Geschlechtern sind immer noch konservative Rollenbilder. "Traditionell wird Erwerbs- und Sorgearbeit oft nach Geschlecht geteilt", bestätigt Miriam Beblo von der Universität Hamburg. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe sich die Erziehungsverantwortung durchaus berechtigt ins Private verlagert, der Staat zog sich zurück, zumindest in Westdeutschland. "Dabei blieb die Erziehung oft an den Müttern hängen", sagt die Professorin für Volkswirtschaftslehre. Diese soziale Norm präge die westdeutsche Bevölkerung bis heute. Das Problem: "Längere Erwerbsunterbrechungen und Teilzeit sind für viele ein Armutsrisiko", sagt Beblo. Wer dann noch ein Kind allein großzieht, ist laut Bertelsmann Stiftung noch schneller armutsgefährdet: 43 Prozent der Alleinerziehenden in Deutschland gelten als einkommensarm – 88 Prozent der Alleinerziehenden sind Mütter. 

Es bleibt noch viel zu tun

Auch der Staat begünstigt tendenziell Verhältnisse, in denen der Mann Hauptverdiener ist. Katharina Wrohlich vom DIW sieht dabei drei große Probleme. Sie lehrt Gender- und Familienökonomie an der Universität Potsdam. Da wäre zunächst das Ehegattensplitting. Für ein Ehepaar lohnt es sich steuerlich mehr, wenn ein Partner deutlich mehr verdient. Wer mehr verdient, wählt Steuerklasse 3, wer weniger verdient, Steuerklasse 5. Wegen des Splittings zahlt der besser verdienende weniger, der schlechter verdienende – also unter Umständen in Teilzeit angestellte – Partner allerdings mehr Steuern, als wenn er alleinstehend wäre. Wer weniger verdient, sammelt weniger Rentenpunkte für das Alter und könnte finanziell vom Partner oder Partnerin abhängen.

Zweitens begünstigt der Staat seit den Agenda-Reformen unter dem damaligen SPD-Kanzler Gerhard Schröder geringfügige Beschäftigung, die Minijobs. Bis zu 520 Euro Monatsgehalt sind für Arbeitnehmer steuer- und sozialversicherungsfrei. Heißt also: Wer über die 520 Euro hinaus arbeitet, für den oder die lohnt sich das etwa in einer Ehe unter Umständen weniger als der Minijob. "Gerade angesichts des Fachkräftemangels leuchtet nicht ein, wieso der Staat Minijobs subventioniert, wenn einige davon auch mehr arbeiten wollen", sagt DIW-Forscherin Wrohlich.

Drittens sind Ehepartner beitragsfrei in der Krankenversicherung des berufstätigen Partners mitversichert. Die Familienversicherung begünstigt damit Verhältnisse, in denen es nur einen Hauptverdiener gibt, oft der Mann. 

Die meisten Männer beziehen zwei Monate Elterngeld

Schließlich wäre da noch das Elterngeld. Nur wenn beide Eltern mindestens zwei Monate nach der Geburt eines Kindes Elterngeld beziehen, stehen den Eltern 14 Monate zu. Eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BIB) zeigte Ende 2022, dass drei Viertel der Väter genau diese zwei Monate in Anspruch nehmen, den Rest die Mütter. Das hat Folgen: Nicht nur steigt der Gender-Pay-Gap insbesondere ab 30 Jahren enorm, auch der sogenannte Gender-Care-Gap, also wie unterschiedlich viel Sorgearbeit Männer und Frauen leisten, wächst. Bei 35- bis 39-Jährigen leisten deutsche Frauen mehr als doppelt so viel Sorgearbeit wie die Männer. Frauen, die schon zu Hause so viel Arbeit verrichten, bleibt logischerweise weniger Zeit für den bezahlten Job. Forschende sprechen auch von der child penalty, also den Lohneinbußen, die Frauen erleiden, nachdem sie ein Kind bekommen haben.

Wrohlich vom DIW schlägt daher Anreize vor. Das meiste Elterngeld sollten ihr zufolge Eltern bekommen, die jeweils sieben Monate Elternzeit nehmen. Ab dem achten könnte der Betrag stückweise sinken. "Nähmen Vater und Mutter in der Regel sieben Monate Elternzeit, wäre das schon revolutionär", sagt Wrohlich. Bisher bleibt es die Ausnahme.

Was braucht es nun, damit sich Teilzeit für beide Geschlechter mehrt und anerkannt wird? "Wichtig sind Vorbilder: also geteilte Führung, das sogenannte Jobsharing zwischen zwei Chefinnen oder Chefs. So wird den Mitarbeitenden, weiblich wie männlich, vorgelebt, dass Teilzeitkräfte keine Beschäftigten zweiter Klasse sind", sagt Miriam Beblo von der Universität Hamburg. Beim Jobsharing übernehmen zwei 20-Stunden-Kräfte eine Vollzeitstelle. Um eventuelle Diskriminierung gegen Beschäftigte, die weniger Stunden arbeiten wollen, zu minimieren, wäre laut Beblo ein Topf wie beim Mutterschutz denkbar. Darin könnten alle Firmen einzahlen, unabhängig von ihrer Beschäftigtenstruktur. Der Vorteil laut Beblo: Mit dem Topf ließen sich die möglicherweise höheren Fixkosten durch mehr Arbeitsplätze in Teilzeit auf alle Schultern verteilen und es würde kein Risiko mehr darstellen, eine Person einzustellen, die eventuell Teilzeit arbeiten möchte. 

Grundsätzlich lässt sich mit diesem Wunsch verhandeln: "Der Fachkräftemangel ist derart gravierend, dass immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Verhandlungsmacht haben. Daher lässt sich schon in der Bewerbung eine Teilzeitstelle fordern", sagt DIW-Forscherin Wrohlich. Wenn der Arbeitgeber also eine Fachkraft braucht, nimmt er sie lieber in Teilzeit als gar nicht. 

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