Warum der Tradwife-Trend gefährlich ist

Zwischen Retro-Ästhetik und Extremismus

Aktuelles 4 min Lesedauer 20.12.2024
Ältere und jüngere Frau sitzen zusammen vor einem Tablet

In einer blitzblanken, geräumigen und sonnendurchfluteten Küche bereitet eine junge Frau ein üppiges Familienessen zu. Sie trägt eine strahlend weiße Schürze mit Spitzenband, verarbeitet ausschließlich frische und gesunde Zutaten und nutzt dafür altmodische Emaille-Töpfe und nostalgisch anmutende Küchengeräte. Die Szene ist mit einer sanften Klaviermelodie unterlegt und erinnert an eine Fernsehserie, die in den 1950er Jahren spielt.

Immer wieder werden Nahaufnahmen von dampfenden Teetassen, einem akribisch gedeckten Tisch oder eine Vase mit frischen Schnittblumen eingeblendet. Mit einem gebügelten Kleid mit Blümchenmuster, einer Hochsteckfrisur und dezentem Make-Up präsentiert sich die Protagonistin perfekt gestylt. Als ihr Ehemann die Küche betritt, lächelt sie ihn strahlend an und serviert ihm das Essen.

So oder so ähnlich könnte ein typischer Videobeitrag aussehen, der in den sozialen Medien unter dem Schlagwort „Tradwife“ geteilt wird. Dahinter steckt ein Trend, der sich auf Instagram, TikTok & Co. wachsender Beliebtheit erfreut. Er stammt ursprünglich aus den USA, stößt aber auch in Europa zunehmend auf Anklang.

Was ist ein Tradwife?

Die Bezeichnung „Tradwife“ ist ein englisches Kofferwort aus den Begriffen "traditional" (traditionell) und "wife" (Ehefrau). Die Selbstbezeichnung wird von Frauen verwendet, die in den sozialen Medien Eindrücke aus ihrem Ehe- oder Partnerschaftsalltag vermitteln, in dem sie ganz bewusst traditionelle Geschlechterrollen einnehmen. Dazu gehört etwa, dass sie als „traditionelle Ehefrauen“ in erster Linie für Kinder und Haushalt zuständig sind, während ihr Ehemann die wirtschaftliche Sicherheit der Familie verantwortet – die Frau kocht, hält das Zuhause der Familie in Schuss und kümmert sich um den Nachwuchs; der Mann geht zur Arbeit und verdient das Geld.

Konservative Frauenbilder

Tradwives bedienen sich häufig einer bestimmten Ästhetik: Viele von ihnen sind im klassischen Sinne attraktiv, leben in ländlichen Regionen und kleiden sich in einem konservativen Retro-Stil, der an die fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts erinnert. Solche stereotypen Rollenbilder empfinden viele Menschen in den westlichen Industrieländern inzwischen als altmodisch und überkommen. Sie werden von Tradwives jedoch häufig sehr selbstbewusst vertreten oder sogar dezidiert als Ausdruck weiblicher Selbstbestimmtheit kommuniziert.

In den sozialen Medien scheint das anzukommen. Auf Plattformen wie Instagram oder TikTok sind manche Tradwives mit der Zurschaustellung ihrer Lebensweise überaus erfolgreich. Sie haben zum Teil mehrere Millionen Follower und nutzen ihre Reichweite – ähnlich wie Influencer und Influencerinnen – auch für die Vermarktung von Produkten, darunter Lebensmittel oder Haushaltsgeräte.

Kritik an der Tradwife-Bewegung

Rezeptvorschläge, Reinigungstipps oder Anregungen für Styling und Make-Up – auf den ersten Blick wirken viele Tradwife-Inhalte unverfänglich und scheinen lediglich einen gewissen Hang zur Nostalgie und eine etwas altmodische Lebensweise zu präsentieren. Doch der Trend sorgt immer wieder für Kritik. Tradwives, so ein häufiger Vorwurf, würden veraltete Geschlechterrollen und konservative Frauenbilder verherrlichen und auf diese Weise viele Errungenschaften des Feminismus untergraben.

„Im Allgemeinen, kann man sagen, reduzieren sie die Rolle der Frau aufs Hausfrau-, Ehefrau- und Mutterdasein“, resümiert die Soziologin Mareike Fenja Bauer, die an der European New School of Digital Studies zum Thema Antifeminismus in den sozialen Medien promoviert. Legitimiert werde dies in manchen Fällen mit Verweisen auf Gott, auf Tradition, oder sogar auf vermeintliche Biologie, so Bauer in einer Sendung des Südwestdeutschen Rundfunks. „Und so stellen sie sich eben häufig auch als Gegensatz zur modernen Gesellschaft dar.“

Ähnliches haben auch Forschende der Bildungsstätte Anne Frank beobachtet: Bestandteil eines typischen Tradwife-Beitrages auf TikTok sei etwa ein gesprochener Kommentar, der Frauen darin bestärke, sich vom Feminismus loszusagen und als Mutter und Ehefrau in einem patriarchalen Familiensystem mit klar definierten Geschlechterrollen Erfüllung zu suchen.

Gefährliche Tendenzen

Und mehr noch: In manchen Fällen würde der Tradwife-Trend bewusst genutzt, um Verknüpfungen zur extrem rechten Szene herzustellen, heißt es in der Studie „Das TikTok-Universum der (extremen) Rechten“, in der die Forschenden „Trends, Strategien und Ästhetik in der Social-Media-Kommunikation“ untersuchen.

So sprängen prominente rechte Frauen auf den Trend auf und „verbreiteten auf Instagram und Youtube rechtsradikale Propaganda von einem ethnisch reinen Europa“ – unter anderem unter Nutzung des Hashtags #Tradwife.

Ideologien verstehen und hinterfragen

Zwar dürfte nur eine Minderheit der Frauen, die sich online als Tradwives bezeichnen, tatsächlich auch der Verbreitung rechtsradikaler Ideologien Vorschub leisten. So sind laut Bildungsstätte Anne Frank in vielen Fällen keine expliziten politischen Forderungen oder parteipolitischen Inhalte auszumachen. Kritisch hinterfragen sollte man den Tradwife-Trend dennoch: „Bewusst oder nicht befördert die Mehrheit der Tradwife-Accounts eine Ästhetisierung antifeministischer Ideologie“, so das Resümee der Forscherinnen und Forscher.

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Illustration einer Frau, die mit Koffer läuft