Nicht nur Schiffe stecken im Sand fest
Diskussion um den wirtschaftspolitischen Zustand der Eurozone im Vergleich zu den USA
Eines der Hauptthemen der Weltwirtschaft ist die zunehmende Divergenz zwischen den USA und der Eurozone. Oder wie die Euroskeptiker sagen würden, die wachsende Divergenz zwischen der Eurozone und dem Rest der entwickelten Welt. Während die US-Wirtschaft dank des Biden-Anreizes und einer viel schnelleren Impfkampagne voranschreitet, geht in der Eurozone wieder einmal fast alles schief, was schief gehen könnte.
Der Anblick von Schleppern, die versuchen, das Containerschiff Ever Given im Suezkanal zu lösen, ist damit eine Metapher für die Schwierigkeiten der Eurozone, die Erholung der Eurozone auf einen nachhaltigen Kurs zu bringen. Eine dritte Welle der Pandemie hat mehrere Länder der Eurozone dazu gedrängt, die Lockdownmaßnahmen erneut zu verschärfen oder zu verlängern. Eine Wiedereröffnung der Wirtschaft im April wird immer unwahrscheinlicher. Ein exponentielles Wachstum des Impftempos nach Ostern ist immer noch möglich, auch wenn man dafür aktuell sehr viel Phantasie benötigt. Und als ob es nicht schlimmer kommen könnte... die vorübergehende Blockierung des Suezkanals trifft nicht die USA, sondern, ganz genau, hauptsächlich Europa (und Asien). Und zu guter Letzt könnte die Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Ratifizierung des europäischen Aufbaufonds zu verschieben, noch weite Kreise ziehen. Immerhin geht es hier um das Vorzeigemodell der europäischen Kriseninstrumente und Solidarität des vergangenen Jahres.
Aktuell spricht also alles für die US-Wirtschaft und herzlich wenig für die Europäische. Mit allen möglichen Auswirkungen auf die Finanzmärkte, Anleiherenditen und Währungen. Es gibt jedoch ein anderes globales Thema, das die gesamte entwickelte Welt und nicht nur Europa treffen wird: den Anstieg der Produktionskosten aufgrund steigender Container- und Versandkosten, Engpässe bei der Lieferung von Halbleitern und Rohstoffen. Diese höheren Produktionskosten werden zweifellos auch in den kommenden Monaten Eingang in die Verbraucherpreisinflation finden. Selbst wenn es den Zentralbanken gelingt, die Finanzmärkte davon zu überzeugen, dass sie höhere Inflationszahlen erwarten und nicht mit einer vorzeitigen Straffung der Geldpolitik reagieren, könnte diese Überzeugung in den kommenden Monaten auf die Probe gestellt werden. Auch hier wird wohl die USA führend sein. Europa hat noch etwas mehr Zeit, bis die Diskussion um den langsamen Einstieg in den Ausstieg Fahrt aufnehmen wird.
Die Divergenz zwischen den USA und der Eurozone wird uns noch einige Monate begleiten. Abschreiben sollte man die Eurozone allerdings noch nicht. Auch wenn es aktuell nicht so aussieht, das Impftempo kann und wird sich in den kommenden Wochen stark beschleunigen und damit auch den Aufschwung beflügeln. Es ist ein bisschen so wie mit der Ever Given: Lange sieht es aus, als ob gar nichts geht, aber auf einmal geht alles ganz schnell.